Mischa Kuball, research_desk_nolde/kritik/documenta, Ausschnitt aus dem 3. von 5 Digitaldrucken, Edition 1/2, © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

nolde / kritik / documenta

Ein Ausstellungs-Projekt im documenta archiv, 10.12.2022 – 19.02.2023, Fridericianum, Kassel.

Emil Nolde (1867-1956) zählt zu den bekanntesten Künstlern der Klassischen Moderne. Seine heutige Wahrnehmung ist durch historische Mythenbildung und deren Dekonstruktion geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg lancierten er selbst und die zeitgenössische Kunstgeschichtsschreibung das Bild des verfemten Malers. Erst in jüngster Zeit sind Noldes antisemitische Haltung und sein Opportunismus gegenüber dem Regime wieder ins Bewusstsein gerückt.

Der Düsseldorfer Konzeptkünstler Mischa Kuball (*1959) hat sich mit Unterstützung der Nolde Stiftung Seebüll, auf die Spuren dieser ambivalenten Künstlerpersönlichkeit begeben und sich kritisch mit Werk und Wirkung Emil Noldes auseinandergesetzt. Erste Ergebnisse waren im Winter 2020/2021 in der Draiflessen Collection in Mettingen zu sehen.

Auf Einladung des documenta archivs setzt Kuball diese Spurensuche in diesem Jahr fort. Das forschungsbasierte Ausstellungsprojekt “nolde / kritik / documenta” beleuchtet die Verschränkung von Werk und Biografie und fragt nach den Widersprüchlichkeiten der Moderne, die in der Künstlerfigur Emil Nolde exemplarisch hervortreten. Der Ausgangspunkt ist die Inszenierung der Gemälde Noldes im Rahmen der documenta I-III (1955, 1959, 1964), die den “Mythos Nolde” entscheidend prägte. Ein Beispiel hierfür ist die nach 1945 entstandene Legende der “Ungemalten Bilder” – jener kleinformatigen Aquarelle die Nolde während des Zweiten Weltkriegs in angeblicher Isolation schuf.

Einige der damals gezeigten Werke, kehren nun im Rahmen der Ausstellung erstmals nach Kassel zurück. Aus postkolonialer Perspektive befragt Kuball darüber hinaus den Zugriff Noldes auf außereuropäische Kulturen anhand einer Auswahl ethnographischer Objekte aus dessen Besitz. Kuball folgt in seiner Inszenierung dem Prinzip des vielschichtigen Nebeneinanders – von Gesagtem und Unausgesprochenem, von Sichtbarem und Unsichtbarem. Seine künstlerische Forschung eröffnet gesellschaftspolitische Diskurse, die über die Person Emil Nolde hinausweisen und Mechanismen der künstlerischen Selbstinszenierung und Erinnerungskultur offenlegen.

Für die Ausstellung entsteht eine raumgreifende medial bespielte Installation, die als begehbarer “Reflexionsraum” gewohnte Präsentationsformen methodisch unterläuft und unseren Blick auf die künstlerischen Originale nachhaltig verändert.

Grundlage des Projekts sind umfassende Recherchen im documenta archiv, im Archiv der Nolde Stiftung Seebüll und im Warburg Institute, London.

Mischa Kuball:
“Die Idee von ‘nolde / kritik / documenta‘ war es, die Wirkmacht der Farben im Werk Emil Noldes zu befragen. Jahrzehntelang überstrahlten sie die Nähe des Künstlers zum Nationalsozialismus und seinen Antisemitismus. Der Farbentzug soll kritische Distanz schaffen, den Schleier über Werk und Künstler transparent machen.”

Dr. Birgitta Coers, Direktorin documenta archiv:
“Am Mythos des schwierigen Jahrhundertkünstlers Emil Nolde haben die frühen documenta Ausstellungen mitgeschrieben; sie sind Teil einer künstlerischen Erfolgsgeschichte, die sich vor allem der berückenden Farbigkeit und dem expressiven Pinselduktus seiner Malerei verdankt. Mischa Kuball lenkt den Blick auf die problematischen Schichten hinter den Bildern und Objekten, in die Tiefe der historischen Erinnerung und die Archive unseres Bildgedächtnisses. Kuball aktiviert Dokumente aus der Geschichte der Nolde-Rezeption und führt uns so die komplexe Bedingtheit unserer Sehgewohnheiten vor Augen. Wir werden hier im Kasseler Fridericianum, in das Noldes Gemälde 1955 zum ersten Mal einzogen, aufgefordert, auch die Institution ‘documenta’ zu hinterfragen und uns der Vergangenheit zu stellen.”

Katalog
nolde / kritik / documenta
Herausgeber:
Birgitta Coers / documenta archiv, Martin Brenninkmeijer, Corinna Otto / Draiflessen Collection
Autor*innen: Astrid Becker, Birgitta Coers, Sabine Fastert, Jens Kastner, Nicole Roth, Barbara Segelken, Bill Sherman, Wolfgang Ullrich
Gestaltung: Studio Carmen Strzelecki
Broschur, 220 Seiten, 30 farbige und 70 s/w Abbildungen
Verlag DCV
ISBN 978-3-96912-076-7 (Deutsch)
ISBN 978-3-96912-076-4 (Englisch)
Der Katalog “nolde/kritik/documenta” erscheint begleitend zur Ausstellung im Kasseler Fridericianum (10.12.2022 – 19.02.2023) in erweiterter Neuauflage.