Hito Steyerl, SocialSim, 2020, Installationsansicht K21, Düsseldorf, 2020. © VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Foto: Achim Kukulies

SHIFT.

KI und eine zukünftige Gemeinschaft, Kunstmuseum Stuttgart, 4. Februar bis 21. Mai 2023

  • Das vom Kunstmuseum Stuttgart und Marta Herford entwickelte Ausstellungsprojekt widmet sich dem Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Beide Häuser sind in Wissenschaftsregionen ansässig, in denen das Thema eine zentrale Rolle spielt. Die enge Kooperation ermöglicht hohe Ressourceneffizienz und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
  • Der Begriff “Shift” (dt. ‘Verschiebung’, ‘Übergang‹, ‘Wechsel’) im Ausstellungstitel verweist darauf, dass KI einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und neue kooperative Formen von Gemeinschaft hervorbringt.
  • Mit den Künstler:innen und Künstlergruppen: Louisa Clement, Heather Dewey-Hagborg, Christoph Faulhaber, kennedy+swan, knowbotiq, Christian Kosmas Mayer, Hito Steyerl und Jenna Sutela.
  • Das umfangreiche Begleit- und Vermittlungsprogramm wurde in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Zentrum für Simulationswissenschaft (SC SimTech) und dem Cyber Valley Stuttgart / Tübingen entwickelt.

Künstliche Intelligenz (KI) prägt zunehmend unseren Alltag und verändert unser Leben nachhaltig. Als eine Schlüsseltechnologie des digitalen Wandels nimmt sie nicht nur Einfluss auf soziale, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge, sondern stellt Grundkonstanten der conditio humana und darauf gründende Menschenbilder infrage. Denn längst übernehmen von Algorithmen gesteuerte Maschinen neben mechanischen Tätigkeiten, die vor allem auf physischem Kraftaufwand beruhen, auch solche, die intellektuelle und strategische Funktionen er-fordern. Mag die Begeisterung für die Potenziale von KI für eine zukünftige Gemeinschaft auch groß sein, deutlich vernehmbar sind die Stimmen, die vor den Risiken der neuen Technologie warnen.

Die Ausstellung SHIFT. KI und eine zukünftige Gemeinschaft knüpft an den Diskurs um KI an. Die Werke der acht Künstler:innen beziehungsweise Künstlergruppen veranschaulichen die stetig voranschreitende Verschränkung von KI und Lebensrealität, beleuchten sie konstruktiv wie kritisch aus verschiedenen Perspektiven und fokussieren dabei insbesondere Fragen nach einer ethischen Verantwortung im Umgang mit KI. Weitere Fragen, auf die die Künstler:innen der Ausstellung Antworten suchen, sind: Inwiefern gleichen sich beziehungsweise unterschei-den sich menschlich-biologische und künstliche Intelligenz voneinander? Wie verhält sich KI zu Konzepten von Vernunft, Freiheit und Verantwortung? Was ändert sich, wenn KI nicht nur in-telligenter wird, sondern zunehmend auch biologisch eingebettet ist? Und: Kann KI die Welt so-gar humaner machen?

Die Künstlerin Louisa Clement (1987 in Bonn, lebt ebenda) rekurriert in ihren Fotografien und Installationen auf die uralte Vorstellung einer Mensch-Maschine-Relation und fragt danach, was von der Menschlichkeit noch übrigbleibt in einer Welt, in der sich analog und digital durch-dringen. Die Werkgruppe der sogenannten Repräsentantinnen (2021) sind Sexpuppen, denen sie ihr eigenes Aussehen sowie ihre Stimme verlieh. Diese humanoiden Roboter ‘fütterte’ sie darüber hinaus mit persönlichen Daten. Durch die Begegnung und Gespräche mit den Besu-chenden der Ausstellung entwickeln sich Clements Figuren sprachlich weiter – und entziehen sich letztlich der Kontrolle der Künstlerin.

Christian Kosmas Mayer (1976 in Sigmaringen, lebt in Wien, AUT) synthetisiert mithilfe von KI die Stimme einer 2000 Jahre alten, männlichen Mumie aus Ägypten, die er in der Acht-Kanal-Installation Maa Kehru (2021–22) erklingen lässt. Technologisch erzeugte Unsterblichkeit bildet auch den Ausgangspunkt seiner animierten Fotografien, die auf historische Porträts des US-amerikanischen Fotografen William H. Mumler (1832–1884) zurückgreifen. Während Mumler mittels Doppelbelichtung vorgaukelte, Geister sichtbar zu machen, haucht Mayer den Porträtierten scheinbar wieder Leben ein, indem er seine eigene Mimik auf die Gesichter projiziert. Die Skulpturen der Serie If you love life like I do (2019) basieren auf Recherchen zur Kryonik, einem Konservierungsverfahren, bei dem Menschen eingefroren werden, in der Hoffnung, nach ihrem Auftauen in der Zukunft weiterzuleben.

Jenna Sutela (*1983 in Turku, FIN, lebt in Berlin und Kaarina, FIN) beleuchtet in ihren Arbeiten das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie, bezieht dabei auch Organismen wie Bakterien oder Schleimpilze mit ein. In der KI-Forschung gelten Schleimpilze als ‘intelligent’, weil sie in der Lage sind – wie Sutela in einem laborartigen Versuchsaufbau vorführt –, den kürzesten Weg zu einer Nahrungsquelle zu finden. Für das Video nimiia cétiï (2018) hat die Künstlerin maschinelles Lernen eingesetzt, um eine neue Sprache zu generieren: Sie verleiht dem Bacillus subtilis nattō eine Stimme, indem sie dessen Bewegung nachvollzieht und in eine kalligrafische Struktur überführt. Die Arbeit I Magma (2021) besteht aus beleuchteten Glasköpfen, die dem Porträt der Künstlerin nachempfunden sind und deren Inneres von einer blubbernden Masse gefüllt zu sein scheint. Ein Bezugspunkt bildet hier das Softwareprogramm DeepDream, das mentale Aktivitäten nachahmt, indem es Bilder manipuliert und mit anderen Motiven zu Kompositionen verrechnet, die auf die menschliche Psyche einwirken.

Der Animationsfilm in vivo – in vitro – in silico (2023) des Künstlerduos kennedy+swan (Bianca Kennedy und Swan Collective, seit 2013) erzählt von einer Zukunft, in der biologische und künstliche Intelligenz eine Verbindung eingehen – und der Mensch gegebenenfalls überflüssig wird. In dieser Erzählung spielen sogenannte Xenobots eine zentrale Rolle; das sind Mikroroboter, die 2021 aus den Zellen von Krallenfröschen (lat. Xenopus laevis) entwickelt wurden. Ihre umfassenden Recherchen überführten kennedy+swan in Animationen, wobei die erzählerische Struktur des Videos von der KI Open AI GPT-3 mitentwickelt wurde – einem Programm, das Texte automatisch generiert und dabei wesentliche Eigenschaften der natürlichen Sprache imitiert. Der Film MD (2023) simuliert als Deepfake die Wiederauferstehung von Marlene Dietrich; das genetische Material hierfür liefert eine echte Haarsträhne der berühmten Schauspielerin.

Die Künstlerin und Bio-Hackerin Heather Dewey-Hagborg (1982 in Philadelphia, USA, lebt in New York City, USA) fertigte für Probably Chelsea (2017) aus einer DNA-Probe dreißig verschiedene Entwürfe möglicher Porträts der US-amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning an. Die ehemalige Soldatin und IT-Spezialistin Manning wurde 2013 verurteilt, weil sie der Website WikiLeaks geheime Daten zu Aktivitäten der USA während des Kriegs im Irak und in Afghanistan zugespielt hatte. Die Porträtskulpturen sollten ihr während ihrer Haftzeit, in der sich Manning einer Geschlechtsangleichung unterzog, Sichtbarkeit verleihen. Der Film T3511 (2018) erzählt von einer Frau – dargestellt von der Künstlerin selbst –, die sich in einen anonymen Speichelspender verliebt. Sie erstellt nicht nur ein DNA-Profil, sondern kultiviert auch seine Zellen, versucht sie auf ihrem eigenen Körper zu züchten. Für die mehrteilige Soundinstallation Lovesick (2019) arbeitete Dewey-Hagborg mit Forscher:innen einer biotechnologischen Firma zusammen. Das Ergebnis dieser Kooperation ist ein Virus, der Gefühle wie Liebe, Empathie und Verbundenheit in seinem Wirt hervorruft.

Die Installation Amazonian Flesh – How to hang in trees during strike? (2018–19) von knowbotiq (Yvonne Wilhelm und Christian Huebler, 1991 gegründet) besteht aus einer dicht verknüpften Kabel-Struktur. Die Besucher:innen können Bots lauschen, die über Lohnarbeit berichten und zum gewaltlosen Widerstand gegen Amazon aufrufen. Der Onlineversandhändler steht hier synonym für global operierende, gewinnorientierte Unternehmen, in denen Algorithmen die Arbeitsvorgänge von Menschen kontrollieren. Die Arbeit Mercurybodies: Remote Sensation (2021–23) beschäftigt sich mit KI-basierten Technologien, die mithilfe von Satellitenbildern geologische Gegebenheiten auswerten, um Bodenschätze zu entdecken. Im Zentrum der Arbeit steht das Gebiet des Rio Atrato in Kolumbien, das durch den illegalen Goldabbau stark mit Quecksilber verseucht ist. Composting Slow Violence (2021–23) entwickelt die Arbeit weiter, indem ein Bezug zum Material Sand hergestellt wird: Als Nebenprodukt des Bergbaus bindet Sand Giftstoffe und breitet sich – wie Quecksilber auch – unbemerkt aus. Mithilfe einer KI verschmelzen in der Arbeit Musik, Töne und Worte aus Beiträgen von Betroffenen vor Ort und von Künstler:innen zu einer Klangcollage.

Das Einkanalvideo SocialSim (2020) von Hito Steyerl (1966 in München, lebt in Berlin) besteht aus computeranimierten und gefilmten Szenen. Der Titel verweist auf Simulationsmodelle zur Berechnung menschlicher Handlungen oder zur Voraussage von Naturkatastrophen. Die Künstlerin interessiert sich jedoch nicht dafür, ob und wie solche Methoden verlässliche Erkenntnisse ermöglichen; die schnelle Bilderabfolge versinnbildlicht vielmehr die Datenflut, die bei der Analyse unseres Handelns und Tuns anwächst. Flankiert wird die Arbeit von zwei weiteren Filmen. Die Bewegungen der darin ekstatisch tanzenden Figuren wurden durch CGI (Computer Generated Imagery) erzeugt und beruhen auf Daten zur Erfassung polizeilicher Gewalt in Deutschland und Frankreich. Die im Rhythmus elektronischer Musik zuckenden uniformierten Gestalten scheinen sich teilweise in Datenströme aufzulösen.

Kryptowährungen und Non-Fungible Token (NFTs) stehen immer wieder in der Kritik, etwa im Zusammenhang mit den durch die Technologie verursachten Klimaschäden. Mit CryptoGallery #ONE (2022) hat Christoph Faulhaber (*1972 in Osnabrück, lebt in Hamburg) ein Kunstprojekt realisiert, das sich dem Recycling des digitalen Abfalls von Kryptowährungen widmet. Dafür speiste er zwei Bildmotive in ein vortrainiertes KI-Modell ein: einen Schädel aus dem mexikanischen Totenkult und ein Foto der deutsch-bulgarischen Unternehmerin Ruja Ignatova, die selbsternannte “CryptoQueen”. Ihre Firma handelte mit Kryptowährungen und flog 2017 als illegales Schneeballsystem auf. Daraus erstellt Faulhaber seine eigene NFT-Serie. Auf der digitalen Plattform Decentraland hat Faulhaber einen virtuellen Raum erschaffen, wo er die Londoner Wohnung von Ignatova sowie eine Galerie nachgebaut hat. In letzterer können seine NFTs angeschaut und auch erworben werden.