Rosemarie Trockels Werkschau im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.
In der Ausstellung, die das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zurzeit zeigt, gibt es ein kleines, etwas abgedunkeltes Kabinett, in dem Affenköpfe gezeigt werden, in frontaler Ansicht und in kleinem Format mit Tusche oder schwarzer Dispersion auf Papier gebannt. Wahrscheinlich sind es Schimpansen, die hier mit unterschiedlicher Mimik von Rosemarie Trockel konterfeit wurden. Sie ist die Künstlerin, deren siebzigster Geburtstag Susanne Pfeffer, Direktorin des Museums, veranlasst hat, ihr Haus für eine große, wenn nicht die größte retrospektive Werkschau der Künstlerin zu räumen: Drei Stockwerke hat Rosemarie Trockel hier ganz für sich allein.



“Hoffnung” ist der Titel der Reihe mit den Affenporträts. Was sich nicht unbedingt mit dem, was man sieht, in Einklang bringen lässt, denn die Mimik der Tiere ist sehr unterschiedlich und lässt auf sehr verschiedene affektive Zustände schließen. Den Affen behandelt die europäische Kunst von je her als Abbild des Menschen. Im bürgerlichen Zeitalter verbreitet sich seine Darstellung in der beliebten Form der “Singerie” als grotesk-komische Spiegelung menschlichen Strebens und menschlicher Eitelkeit. Man ist versucht, Trockels Arbeiten in diese Tradition einzugliedern und damit abzutun, wäre da nicht ein Blatt, das aus der Reihe tanzt. Auch diese Arbeit zeigt einen Affenkopf, der nun allerdings den Titel “Gretchenfrage” trägt. Warum sich Gretchens an Faust gerichtete Frage nach seinem Glauben, auf den Vertrauen gründen könnte, auch für einen Affen stellt, erschließt sich erst, wenn man, während man sein Abbild betrachtet, mitdenkt, wie sehr der Affe in seinem Lebensraum durch uns, seine Betrachter, gefährdet ist.
Erkenntnisgewinn inklusive
Überhaupt macht die Frankfurter Schau sehr deutlich, dass das Schicksal unserer Mitgeschöpfe Rosemarie Trockel immer wieder beschäftigt hat. Was sich in einer ganzen Reihe der hier gezeigten Arbeiten manifestiert.
So baumelt eine in Bronze gegossene Robbe vor unseren Augen an einer Kette. Sie ist genauso am Schwanz aufgehängt, wie wir es von den Bildern arktischer Robbenjäger kennen. Dass Naturfrevel und unsere Alltagswelt sehr nah beieinander liegen, zeigen uns die blonden Haarsträhnen, die wie ein aufgeweichter Strahlenkranz vom kurzen, wulstigen Nacken der Robbe herabbaumeln.
Trockels Film “Napoli” aus dem Jahr 1994 zeigt, wie sich über Neapel Stare zu einem riesigen Schwarm formen. Diese, eher dem Zufall zu verdankende Beobachtung ist ein Phänomen, das im Zuge seiner Erforschung den Begriff der Schwarmintelligenz hervorbrachte, der in der Systemtheorie und ihren Grundlagen, aber auch in der Soziologie und Informatik eine gewisse Rolle spielt. Dass sich aus genauer Beobachtung Erkenntnis gewinnen lässt, ist ein Prozess, der nicht nur bedeutsam für die Wissenschaft ist, sondern auch einen wichtigen Bestandteil der Kunst Rosemarie Trockels ausmacht: Erst die mehr als flüchtige Betrachtung ihrer Werke erschließt Bedeutungsebenen, die sich nicht auf Anhieb entschlüsseln.
Nur wenige Schritte entfernt stoßen wir auf drei reliefartige Arbeiten, die, in sattes Rot getaucht, nebeneinander an der Wand hängen. “Shutter” ist der Titel, der sie begrifflich zu einer Einheit verbindet, und tatsächlich haben sie alle etwa das Format eines Fensterladens. Es sind Keramiken, durch deren zerklüftete Oberflächen sich geradlinig kantige Gräben ziehen. Wenn man nahe herantritt, erkennt man, dass es noch einmal um das Thema Tier geht, denn es handelt sich um Abformungen von Fleischstücken, die zu Reliefs zusammengefügt wurden.


Die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
Man kann anhand dieses Themas gut erkennen, dass Rosemarie Trockel sich sehr verschiedener Mittel bedient, um ihre Positionen zu formulieren. Kennzeichnend ist aber auch, dass sich die Vielzahl der Mittel – Zeichnung, Fotografie, Film, Skulptur und Installation – mit einer noch größeren Zahl von Themen verbindet. In den vier Jahrzehnten ihres Schaffens, auf die die Ausstellung zurückschaut, ist es eine beträchtliche Zahl von gesellschaftlichen Diskursen, in denen die Künstlerin Stellung bezieht. Das war bereits in ihren Kölner Anfängen in den frühen Achtzigern so: Während die männlichen Kollegen der Mülheimer Freiheit mit großer Geste die Rückkehr der Malerei feiern, liefert Rosemarie Trockel zur gleichen Zeit, quasi als Auftakt ihrer Laufbahn, mit ihren sogenannten “Strickbildern” subtile Kritik an überlieferten Rollenklischees. Ein zweites Motiv, das ebenfalls bereits in ihren Anfängen auftaucht und auch in Frankfurt gezeigt wird, sind elektrische Herdplatten. Auch sie verkörpern symbolhaft die weibliche Sphäre des Häuslichen, nur um diese Zuschreibung sogleich wieder infrage zu stellen. Um diese Kritik als solche zu erkennen, bedarf es einer gewissen Vertrautheit mit den Strategien der Künstlerin: Die Titel ihrer Arbeiten gebärden sich nicht als nachträgliche Hinzugaben, sondern als essenzieller Bestandteil und liefern Hinweise, die dabei helfen können, Trockels Fragestellungen zu verstehen. Allerdings muss man sich bereitwillig auf ihre Methoden der Dekonstruktion einlassen, um ihre Botschaften entschlüsseln zu können. Die hängende Robbe zum Beispiel wird zwar als Werk ohne Titel gezeigt, auf das “Ohne Titel” folgt aber sogleich in Parenthese ein Karl Kraus-Zitat als Zusatz: “(Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss K.K.:F)”.
Die Frankfurter Schau zeigt auch, dass zu den Mitteln, die Rosemarie Trockel einsetzt, die Auseinandersetzung mit der Kunst ihrer Zeit gehört. Zu den Künstlern, mit denen sie sich erkennbar beschäftigt hat, gehören Joseph Beuys, Andy Warhol und Gerhard Richter. “Rush Hour” und “White Hope” zum Beispiel suchen die Auseinandersetzung mit den frühen “grauen” Bildern Richters, wobei sich die Nachahmerin nicht dazu versteigt, dieselbe malerische Qualität wie ihr Vorbild zu entfalten. Stattdessen wird dieses Bemühen genau auf der Höhe der Qualität eines Kopisten eingebremst. So viel Distanz muss offenbar sein. Und insofern spielt auch das klassisch akademische Handwerk eine Rolle, allerdings nur insoweit es benötigt wird, um deutlich zu machen, dass Handwerk nicht interessiert.
Im Übrigen muss der Einsatz verschiedenster Mittel nicht unbedingt eine strategische Haltung sein. Es kann auch einfach Gleichgültigkeit gegenüber dem sein, das wir gelegentlich als individuelle Ausdruckskraft bezeichnen, womit wir eine Kraft meinen, die wir gern zum Wesenskern der Kunst rechnen. Was aber ist das für eine Kunst, die sich nicht zu diesem Kernbestand der künstlerischen Individualität bekennen mag, zu Ausdruck nicht gelangt und stattdessen in Kunst die “Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln” sieht?
“Prisoner of yourself”
Für Kunstkritik und -handel gehört Rosemarie Trockel zu den Großen ihrer Generation. Was nicht heißt, dass sie als Künstlerin, wenn schon nicht in Interviews, so doch durch konkludentes Verhalten ihre Mitgliedschaft in diesem exklusiven Club zur Schau stellt oder gar darauf pocht. Feminismus heißt für Trockel anscheinend auch, den Anschein von Ehrgeiz oder gar von Streberhaftigkeit möglichst zu vermeiden. Im Eingangsbereich der Ausstellung hängt an drei Wänden eine zusammenhängende Installation. Sie zeigt die luftigen Maschen eines textilen Gebildes, das in blauer Farbe auf weißem Grund großflächig als Siebdruck auf die Wand aufgebracht wurde. Es trägt den Titel “Prisoner of Yourself” und markiert den Gefahrenraum, in dem man als Künstlerin von Weltrang lebt: Man kann sehr schnell in einer Schublade landen, während es eine ganze Weile dauern dürfte und große Mühen erfordert, sich aus dieser Schublade zu befreien. Wem die Künstlerpersönlichkeit Rosemarie Trockel zu weit hinter den gezeigten Arbeiten verschwindet, der kann hier eines der Motive sehen, warum das so ist.