Cathy Bernheim, Delphine Seyrig filmt “Où est-ce qu’on se ‘mai’?” während der Demonstration zum 1. Mai 1976 in Paris (Detail), Courtesy Cathy Bernheim

Amüsierte Feministinnen

“Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive der 1970er und 1980er Jahre”, Württembergischer Kunstverein, 25.2. bis 7.5.2023.

“Sois belle et tais-toi” – sei hübsch und schweig! Diesen Satz bekam Delphine Seyrig immer wieder zu hören, wenn sie als Schauspielerin ihren männlichen Regisseuren widersprach. Auf Deutsch würde das niemand so sagen, auf Französisch schon – auch ein Chanson von Serge Gainsbourg hieß so –, weil belle hier auch so etwas wie brav, artig meint. Doch Seyrigs Video aus den 1970er-Jahren steht unter diesem Titel, weil er genauestens beschreibt, was von Schauspielerinnen verlangt wurde: Sie sollten schön sein und brav den Mund halten, wie Seyrigs Interviews mit rund zwanzig Kolleginnen von Jane Fonda bis Juliet Berto belegen.

Lost in Translation: “Widerständige Musen” lautet der Titel der Ausstellung im Württembergischen Kunstverein über “Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er und 1980er Jahre”. Das ist eine Übersetzung des Namens Insoumuses, unter dem sich Delphine Seyrig, Carole Roussopoulos und Ioana Wieder als Videoaktivistinnen zusammenschlossen. Ein Wortspiel. Insoumis heißt wörtlich nicht unterworfen. Indem sie das i durch ein u ersetzten, brachten sie, die sich zunächst Les muses s’amusent – Die Musen amüsieren sich – genannt hatten, ihre Haltung noch knapper auf den Punkt. Aus der ironischen Volte derjenigen, die sich nicht herumkommandieren lassen wollen, wird im Deutschen humorbefreit Widerstand.

Die Schauspielerin als Regisseurin

Dabei lehnt Seyrig im Interview den Begriff militante – Aktivistin – ab, da sie vor allem comédienne – Schauspielerin – sei. Auch hier ist auf die Untertöne zu achten, sie hätte auch actrice sagen können. Die drei Musen amüsierten sich, wie ihr Video “Miso et Maso vont en bateau” – ungefähr: Miso und Maso in einem Boot – zeigt, das auf einer Talkrunde mit Françoise Giroud, der Staatssekretärin für die Lage der Frau am 30. Dezember 1975 basiert. Miso, das sind die misogynen Frauenfeinde, die angeblich die besseren Liebhaber seien, eine Aussage, der die Frauenbeauftragte, Maso, die Masochistin, nicht widerspricht. “Noch ein Tag, und das Jahr der Frau ist vorbei”, heißt es gleich zu Beginn: “Ouf!” steht in einer Sprechblase. In Zwischentiteln, Bildern von Simone de Beauvoir und einer Frauendemo, durch Wiederholungen besonders peinlicher Aussagen oder indem sie dazwischen singen fügen sie dem Gespräch einen erfrischenden, sarkastischen Kommentar hinzu. Wenn Miso und Maso in einem Boot sitzen, heißt es irgendwann, fällt Maso ins Wasser. “Plouff”.

Die Musen nahmen kein Blatt vor den Mund. In einem weiteren Video diktiert Seyrig, rechts im Bild, Roussopoulos das “Scum Manifesto”, 1967 verfasst von Valerie Solanas, die im Jahr darauf ein Attentat auf Andy Warhol verübte. “Der Mann ist ein biologischer Unfall”, liest Seyrig, während Roussopoulos mit zwei Fingern in die Tasten hämmert und im Hintergrund Nachrichtenbilder von Militärs zu sehen sind: “Er ist nicht einmal als Zuchthengst zu gebrauchen.” Scum bedeutet Abschaum. Die Regierung stürzen, das Geldsystem und die Männer abschaffen: Das ist für Solanas die einzige Lösung. Am Ende hört Roussopoulos auf zu tippen, und der Fernseher überträgt Bilder einer Friedensdemonstration katholischer und protestantischer Frauen in Nordirland.

Den Betroffenen die Kontrolle über ihr Bild zurückgeben

Roussopoulos war die erste Frau in Frankreich, die um 1970 eine Sony Portapak, die erste tragbare Videokamera erstand und mit ihrem Mann Paul das vermutlich erste Videoaktivist*innenkollektiv gründete. Als Seyrig mit Wieder, die sie seit ihrer Kindheit im Libanon kannte, ihren Videokurs besuchte, war Roussopoulos die einzige, die nicht wusste, wer sie war. Denn zumindest in Avantgarde-Kreisen war Seyrig seit ihrer Hauptrolle in Alain Resnais’ “Letztes Jahr in Marienbad” eine bekannte Persönlichkeit. Sie hatte Theater gespielt, unter anderem Samuel Beckett. Harold Pinter hatte sie ins Französische übersetzt. Ihr Filmdebüt gab sie in “Pull My Daisy”, dem zwanzigminütigen Film über die Beatniks von Robert Frank. Sie spielte in Filmen von François Truffaut und Jean-Luc Godard. Nichts davon ist in der Ausstellung zu sehen, kein Platz, sagen die Kuratorinnen Nataša Petrešin-Bachelez und Giovanna Zapperi, in früheren Stationen in Madrid und Wien sei dies anders gewesen. So bleibt die etwas paradoxe Feststellung, dass Seyrig im Titel steht, weil sie – was man aber bereits wissen muss – die bekanntere Figur ist, wo doch, was das Medium Video angeht, eigentlich Roussopoulos an erster Stelle genannt werden müsste.

“Es fiel mir auf, dass direkt Betroffene nie etwas mitzureden hatten”, so Roussopoulos’ bemerkenswerte Erkenntnis, die an Aktualität nichts verloren hat. “Immer sprach jemand anders für sie: Expert*innen, Gewerkschaftsvertreter*innen, und so weiter.” Ihre Entscheidung für das Medium Video begründete sie so: “Die Menschen, die ich aufnehme, können die Sequenz ein paar Mal ansehen. Das gibt ihnen die Kontrolle über ihr Bild und ihre Aussagen.” Ihr erstes Video zeigt ein Statement von Jean Genet für die soeben verhaftete Angela Davis, der im schlimmsten Fall die Todesstrafe drohte. Es folgten die Young Lords, ursprünglich eine puertoricanische Straßengang aus Chicago, die zur überregionalen Bürgerrechtsorganisation geworden war; eine Pressekonferenz der Vietnamveteranen gegen den Krieg; ein Blick auf das Münchner Olympia-Attentat; die Beerdigung des vom israelischen Geheimdienst Mossad in Frankreich ermordeten PLO-Repräsentanten Mahmoud al Hamchari; später ein Interview mit der schwarzen Anwältin Flo Kennedy. Dann folgt, groß herausgestellt, ein Video von Françoise Dasques, über die UN-Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi.

Ein Archiv für Videos

Wer ist nun aber Françoise Dasques und was hat sie mit Seyrig und Roussopoulos zu tun? Das verrät die Ausstellung nicht, nicht einmal der englischsprachige Katalog, den das Museo Reina Sofia als als PDF unter https://www.museoreinasofia.es/en/publicaciones/musas-insumisas gratis anbietet. Dasques ist Kunsthistorikerin, ihr Film entstand im Auftrag des Centre audivisuel Simone de Beauvoir, das die Insoumuses 1982 ins Leben gerufen hatten, um die Video-Dokumente eines Jahrzehnts der Frauenbewegung zu bewahren und neue zu beauftragen. Die Ausstellung besteht aus Videos, zumeist sind es Ausschnitte, aus diesem Archiv, das am Ende auch Thema ist. Wer aber Mahmoud Al Hamschari oder Flo Kennedy waren, dazu fehlen die Informationen. Herausgehoben sind eine Handvoll thematischer Schwerpunkte. Obligatorisch die Frauenbewegung: Roussopoulos filmte die erste schwul-lesbische Demonstration in Paris, einen Prostituiertenkongress in Lyon und eine Demo für Abtreibung, wobei sie diesem Film den schönen Titel “Y’a qu’à pas baiser” – “Einfach nicht ficken” gab. Nicht etwa eine Aufforderung der Regisseurin, die Männer zu bestreiken, sondern der Kommentar einer konservativen Passantin. Die meisten stimmen jedoch den Protestierenden zu.

Seyrig engagierte sich in der Antipsychiatrie-Bewegung, seit sie 1975 in einem Film von Liliane de Kermadec die Art-brut-Künstlerin Aloïse Corbaz gespielt hatte, die seit ihrem 32. Lebensjahr 1918 in psychiatrische Kliniken eingewiesen war. 1986 besuchte sie Mary Barnes, die sich bei Ronald D. Laing, einem der Begründer der Bewegung, in Behandlung begeben und dort zu malen begonnen hatte. Der Regisseur Abraham Ségal hat die Begegnung in einem Film festgehalten, in dem Barnes ein Bild malt, das nun in der Ausstellung zu sehen ist.

Auf den Spuren der Calamity Jane

Das Medium Video bot Seyrig “die Gelegenheit, Filme zu drehen, ohne jemanden um etwas bitten zu müssen […] Ich fand es fantastisch, von der Schauspielerin plötzlich zur Regisseurin zu werden.” Nach der Gründung des Centre audivisuel Simone de Beauvoir hat sie allerdings keine Videos mehr gedreht. Als Schauspielerin hatte sich für sie 1975 mit dem Film “Jeanette Dielmann” von Chantal Akerman etwas geändert. “Es ist kein Zufall, dass Chantal mich für diesen Film angefragt hat”, erklärt sie. “Hier bin ich nicht nur Darstellerin, sondern ich agiere in einem Zusammenhang, der mir etwas bedeutet.” Im selben Jahr spielte sie die Hauptrolle in Marguerite Duras’ “India Song”, später in Filmen von Ulrike Ottinger. Am Ende ihres Lebens, Seyrig starb 1990, wollte sie noch einen Film über die Wildwest-Ikone Calamity Jane drehen, basierend auf deren Briefen an ihre Tochter. Es sollte ein Stummfilm werden, für den sie jedoch keine Finanzierung fand. Die französisch-amerikanische Filmemacherin Babette Mangolte hat jedoch ihre Reise nach Billings, Montana, auf der Suche nach Personen, die die Tochter gekannt hatten, aufgezeichnet und vor kurzem daraus einen Film gemacht, der mit anderen Dokumenten zu dem Projekt nun in der Ausstellung zu sehen ist.

Ausschnitte aus vielen der gezeigten Videos sind auch auf der Website des Centre audivisuel Simone de Beauvoir zu sehen: https://base.centre-simone-de-beauvoir.com/diaz-510-0-0-1.html?ref=51f814f34b290368766c2daad3cbf076&