Ludwig Hugo Becker, Küstenlandschaft bei St. Valery, 1862, Öl auf Pappe, 36,6 x 53,4 cm, Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf

Erst Schweinsblase, dann Tube

“Mehr Licht – Die Befreiung der Natur”, Kunstpalast, Düsseldorf, 8.2. bis 7.5.2023.

Für die Ausstellung “Mehr Licht”, die derzeit im Kunstpalast in Düsseldorf gezeigt wird, ist der 11. September 1841 ein wichtiges Datum. An diesem Tag ließ sich nämlich der amerikanische Maler John Goffe Rand, an dessen künstlerisches Schaffen sich kaum jemand erinnert, eine Erfindung patentieren, die alle Welt noch heute kennt: Es war die Farbtube, durch die es möglich wurde, frische Ölfarben lange aufzubewahren und leicht zu transportieren. Bis sich diese Erfindung verbreitet hatte, waren Maler gezwungen, ihre Farben in Schweinsblasen zu füllen und möglichst rasch zu verbrauchen, weil sie sonst eintrocknen und dadurch unbrauchbar würden.

Es versteht sich, dass “Mehr Licht” genauso wie auch andere Ausstellungen einem Konzept folgt. Man darf dies erst recht voraussetzen, weil hier Florian Illies als Kurator seine Hand im Spiel hat. Dennoch stellt sich mit jeder Ausstellung die Frage neu, wie wohl das Konzept, mit dem man es zu tun bekommen wird, aussieht.

Sobald man die Räume der Ausstellung “Mehr Licht” betritt und den Blick umherschweifen lässt, begreift man, welcher thematischen die räumliche Gliederung folgt. Es wird klar, wie die Überlegungen aussehen, die hinter der Idee stehen, in Ölfarben angelegte, kleinformatige, oft auf Papier, Pappe oder Holz ausgeführte Studien westeuropäischer Provenienz aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Ausstellung zusammenzubringen: Die Ölstudie repräsentiert in dieser Ausstellung eine wichtigen historische Entwicklung, die zwar schon früher begonnen hatte, aber erst mit der Erfindung der Farbtube richtig vorankam. Es war nun mehr Mobilität im Spiel. Mit dieser Entwicklung kündigte sich etwas an, dass sich in seinem vollen Umfang erst sehr viel später, etwa mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entfaltete. Und auch dann noch weiterer Jahrzehnte bedurfte, bis es uns, dem Publikum, wirklich vertraut und selbstverständlich war.

Es geht um die Befreiung der Kunst aus dem “Korsett strenger Vorgaben der Kunstlehre”, so beschreibt Florian Illies im Katalog das, was er mit seiner Ausstellung präsentieren möchte. Gezeigt werden soll also der Beginn einer Veränderung, die zu einer Verselbständigung des Malerischen wie auch zu den ersten theoretischen Ansätzen und Überlegungen zur Autonomie der Kunst führte.

Andeutungen genügen

In der Ausstellung zeigt sich sehr rasch: Kennzeichen der Ölstudie ist die schnelle Arbeit mit dem Pinsel und die sich in Andeutungen genügende Ausführung. Beides bedingt der Zeitdruck, der entsteht, wenn es darum geht, einen Anblick, flüchtig aufgrund der Licht- oder Wetterverhältnisse, in möglichst kurzer Zeit einzufangen. Damit offenbart sich ein weiteres entscheidendes Kriterium: Die Ölstudie entsteht nicht im Atelier, sondern draußen, vor Ort also, in unmittelbarer Anschauung des Motivs.

Zumal das Atelier nach wie vor Hort des Kanons ist: in Düsseldorf, unter der Leitung von Cornelius und Schadow Maßstäbe setzend, aber auch an anderen Akademien dieser Epoche, steht die Historienmalerei, sehr pompös, anfangs noch möglichst al fresco, an erster Stelle. Dahinter etwas abgeschlagen die Genremalerei und dann erst, noch um Anerkennung kämpfend, die als akademische Gattung und als Angebot der Lehre noch recht junge Landschaftsmalerei. Dem Zwang, sich in der Kunstöffentlichkeit in diesen engen Grenzen bewegen zu müssen, konnte man sich als Künstler am ehesten noch durch das Studium der Natur entziehen – sei es während der oft mehrjährigen obligatorischen Reise nach Italien, sei es nur stundenweise durch die Erkundung eines Wäldchens, Tals oder Bachlaufs in der heimatlichen Umgebung.

Natürlich bietet Italien mehr als die heimatlichen, einsamen Wanderungen: Nicht nur die Deutschen zieht es nach Rom, auch Engländer, Franzosen und Skandinavier geben sich hier ein Stelldichein. Und zeigen andere künstlerische Gepflogenheiten: Bei den Franzosen beispielsweise ist die Ölstudie als künstlerische Möglichkeit bereits verbreitet und beliebter als bei den deutschen Emigranten, die zunächst noch Feder und Blei, der linearen Zeichnung also, den Vorzug geben. Allerdings hinterlässt die Anschauung dessen, was die Franzosen in diesem neuen, malerischen Medium zustande bringen, auch bei den zunächst noch kritischen Deutschen mächtigen Eindruck und sorgt für einen Gesinnungswandel. Rom offeriert eben nicht nur die Anschauung der Kunst vergangener Epochen, sondern ist zu dieser Zeit auch ein internationaler Umschlagplatz neuer Ideen.

Nicht viel wert, lohnt sich trotzdem

Die besonderen Umstände ihres Entstehens, ihre Herkunft aus einem noch sehr eng bemessenen Freiraum, führen dazu, dass die Ölstudie nicht zum Baustein taugt, der von vorneherein als Teil eines großen Planes bestimmt ist, in den Hintergrund eines großformatigen Historienbildes einzugehen. Sie bleibt gewissermaßen ziellos, ist zu keinem anderen Zweck bestimmt, als den Augenblick festzuhalten. Sie hängt an den Atelierwänden, bildet dort mit anderen Studien einen jederzeit abrufbaren Speicher für Ideen und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Bestenfalls kann man sie als Tauschobjekt im Verkehr mit anderen Künstlern nutzen. Auch für den Kunsthandel spielt sie keine wichtige Rolle und kann dort, weil zahlreich vorhanden, auch heute noch günstig erworben werden kann. Florian Illies, der es wissen muss, sieht in ihr daher ein attraktives Objekt für Kunstfreunde, die mit dem Gedanken spielen, sich als Sammler zu betätigen.

Rosa Bonheur, Landschaft im Nebel, o.J., Öl auf Papier auf Karton, 15,9 x 31,4 cm, Privatsammlung

Mehr Licht wäre gut

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass “Mehr Licht” bis auf Rosa Bonheur nur Arbeiten von Männern zeigt. Trifft das die Sachlage? Oder werden wir erleben, dass, sobald sich eine Frau des Themas annimmt, plötzlich doch mehr Licht auf Ölstudien von weiblicher Hand fällt?

“Mehr Licht? Mehr Licht wäre gut!” Das war im Übrigen der erste spontane Gedanke beim Betreten der Ausstellung. Denn in den Ausstellungsräumen war es etwas dunkel: Gedämpfte Wandfarben, gedämpfte Spots mit nur geringer Streuung in den Raum, dazu die überwiegend kleinformatigen Exponate, von denen nicht wenige eher dunkle Farbtöne zeigen. Okay, man muss sowieso nah ran. Trotzdem stellt sich die Frage: Muss das so sein?

In Düsseldorf dauert die Ausstellung bis zum 7. Mai. Ab Mitte Juli wird sie in Lübeck zu sehen sein. Egal wo, ihr Besuch kann uneingeschränkt empfohlen werden.

Mehr Licht – Die Befreiung von der Natur“, kuratiert von Florian Illies, Kunstpalast Düsseldorf, 8.2.-7.5.2023