Hannah Cooke, Den Stier bei den Hörnern packen, 2023, Textil, genäht, © Hannah Cooke & VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Picasso schultern

How to face Picasso? Hannah Cooke im Kunstmuseum Heidenheim, 13. Mai bis 15. Oktober 2023.

Die Sammlung des Kunstmuseums Heidenheim, 1989 eingerichtet im ehemaligen Volksbad der Stadt, beruht auf einer Picasso-Plakatsammlung, angeblich der größten der Welt. Zusammengetragen hat sie Christoph Czwiklitzer, Kunsthändler, Journalist und Verleger, der bereits 1970 ein Werkverzeichnis der Plakate veröffentlicht hat. Ungefähr 700 besitzt die Stadt Heidenheim, von Picasso selbst oder anderen Künstlern für seine Ausstellungen entworfen, nach und nach ergänzt um rund 140 Druckgrafiken. So weit, so gut, doch nach mehr als drei Jahrzehnten ist diese Sammlung Kunstinteressierten vor Ort bekannt, während sich Besucher von außerhalb deshalb kaum nach Heidenheim begeben werden.

Marco Hompes, der seit zwei Jahren das Museum leitet, nahm nun den fünfzigsten Todestag des Künstlers zum Anlass, die Sammlung neu zu beleuchten. Bei aller Bewunderung: Wie halten wir es mit dem männlichen Künstler-Heroen, der seine Frauen – dreizehn zählt die Ausstellungsbroschüre auf – nicht immer pfleglich behandelte? Als Françoise Gilot, Mutter von zwei der vier Kinder Picassos, darüber ein Buch schrieb, brach er jeden Kontakt ab. Claude und Paloma Picasso mussten lange um ihr Erbe kämpfen. Eigene künstlerische Karrieren seiner Frauen wusste Picasso zu verhindern. Kann man dies in Zeiten von MeToo einfach mit Schweigen übergehen?

Hompes wollte wissen, wie eine heutige Künstlerin dies sieht. Er hätte keine geeignetere finden können als Hannah Cooke, die in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt hat: In den Videos Ada vs. Abramović und Ada vs. Emin reagiert sie auf die Aussagen von Marina Abramović, Frauen hätten als Künstlerinnen keinen Erfolg, weil sie nicht auf Liebe, Familie und Kinder verzichten wollten; und von Tracey Emin, die sich nicht vorstellen kann, zugleich Mutter und Künstlerin zu sein. Mit ihrer Tochter Ada auf dem Arm, wie eine Madonna, fügt sie sich in Abramovićs Arbeit The Artist Is Present und in Emins My Bed ein. “Der Kunstbetrieb muss elternfreundlicher werden”, überschrieb das Magazin monopol vor zwei Jahren ein Interview mit ihr. Unter dem Titel: “Das letzte Tabu” widmete ihr Die Zeit eine ganze Seite. An über zwanzig Ausstellungen war Cooke seither beteiligt.

Wie aber einen Jahrhundertkünstler wie Picasso mit den künstlerischen Mitteln neu ausleuchten, ohne sich direkt mit ihm zu konfrontieren? Hannah Cooke weicht dem Vergleich aus, indem sie ein Medium wählt, in dem er nicht gearbeitet hat, das zudem weiblich konnotiert ist. Im ehemaligen Schwimmbecken, der Hermann Voith Galerie, wo sich die Dauerausstellung befindet, hängen fünf große rote und rosafarbene Fahnen. Alle Arbeiten von Picasso sind dagegen in Petersburger Hängung an eine Wand  umgehängt, während die Schildchen bleiben wo sie waren. Statt Picasso füllen nun Cookes Arbeiten den Raum. Sie nehmen Bezug auf Themen Picassos wie die Taube oder den Minotaurus. Kann man aber heute noch ein Blatt mit dem Titel Minotaurus, der eine Frau vergewaltigt ausstellen, fragt Hompes. Selbst wenn dieser Titel nicht von Picasso stammt?

Hannah Cooke packt den Stier – nein, nicht bei den Hörnern, sondern am Schwanz. Picasso hat 1941 ein surreales Drama geschrieben mit dem Titel Wie man Wünsche beim Schwanz packt. Als “Red Flags” bezeichnet sie ihre Tücher, in Anlehnung an Dating-Warnhinweise auf toxische Männer. Rotes Tuch würde ebenso passen. Der Begriff kommt vom Stierkampf, den Picasso liebte. Der Stier: ein Inbild unbändiger männlicher Kraft. Herakles besiegt den kretischen Stier, den Vater des Minotaurus. “Der Minotaurus bin ich”, hat Picasso gesagt. Das Triebhafte, seine Sexualität, sah der Künstler in dem Zwitterwesen verkörpert, halb Mensch, halb Tier. Wie Picasso bezieht sich Cooke auch mit zwei weiteren Fahnen auf die antike Mythologie: Der Stier vertritt einmal den Stein, den Sisyphos den Berg hinauf rollt, das andee Mal das Himmelsgewölbe, das Atlas schultert. Diese Aufgaben meistert sie selbst, in schwarzem Bikini, mit der Nähmaschine auf die roten Tücher appliziert.

Dass all diese Assoziationen stimmig ineinander greifen, zeigt wie durchdacht Cookes konzeptuelle Überlegungen sind. Das Himmelsgewölbe in Form eines Stiers: Das mag die Kunst selbst sein, fest in der Hand männlicher Heroen wie Picasso. Dagegen anzugehen, ist eine Sisyphusarbeit, allerdings nennt sie das Bild, leicht abgewandelt nach Albert Camus‘ Der Mythos des Sisyphos: “Wir müssen uns Sisyphos als glückliche Frau vorstellen”. Der Power eines Künstlers wie Picasso frontal entgegenzutreten, kann nicht gelingen. Auf zu vielen Ebenen befände sich eine Künstlerin in der schwächeren Position: Sie ist strukturell benachteiligt. Dem Renommee, dem Status des “großen” Künstlers kann sie nicht Paroli bieten. Und es wäre vermessen, die künstlerische Kraft Picassos, die Cooke überhaupt nicht in Frage stellt, überbieten zu wollen.

Also packt sie den Stier am Schwanz und hebelt den Mythos des großen Künstlers auf andere Weise aus, indem sie zeigt, dass es noch andere Seiten gibt: Verletzlichkeiten; Picassos problematische Männlichkeit. Mein Täubchen, heißt eine weitere, hellrosa Fahne mit abgehackten Taubenfüßen, die anspielen auf eine Episode aus der Kindheit des Künstlers, als sein Vater José Ruiz y Blasco, selbst Künstler und spezialisiert auf die Darstellung von Tauben, ihm eben die Füße des Vogels hinlegte mit der Aufforderung, diese zu zeichnen. Die unterschwellige Grausamkeit kontrastiert mit den zahlreich an den Wänden hängenden Friedenstauben Picassos und mit dem Kosewort im Titel. Die letzte Fahne, in kräftigerem Rosa, spielt an auf Picassos erste Begegnung mit Dora Maar, die sich mit einem großen spitzen Messer zwischen die Finger stach und dabei, Françoise Gilot zufolge, auch mal daneben traf, sodass die Hand anschließend von Blut überströmt war: auch dies ein Bild unterschwelliger Gewalt.

Zu guter Letzt hat sich Cooke in Museumsshops umgesehen und Tücher erworben, die zwar nur entfernt an Werke Picassos erinnern, dafür aber umso deutlicher seine Unterschrift tragen. Sie hat ebenso promimemt ihre eigene Signatur danebengesetzt und verkauft sie nun als ihre Arbeiten. Wenn sich der Kommerz so einfach bei Picasso bedienen kann, warum sollte die Künstlerin das nicht auch können?