Michel Majerus, Ohne Titel, 1991, © Michel Majerus Estate, 2022. Courtesy neugerriemschneider, Berlin und Matthew Marks Gallery. Foto: Jens Ziehe, Berlin

Grüße aus der Konsumhölle

Michel Majerus in den Berliner KW Institute for Contemporary Art

Alice im Wunderland, Super Mario, Mick Jagger. Allseits bekannte Charaktere und Werbeslogans ploppen aus klein- wie großformatigen Bildgründen. Aufmerksamkeitsheischend, dynamisch und bunt kehren sie einen von Medien durchdrungenen Alltag hervor, sind Signum einer schnelllebigen Gegenwartskultur. In einer Vitrine liegt ein Malbuch mit Roadrunner-Figuren, an der Wand hängt ein mehrteiliges Sandmann-Spiel und inmitten der Petersburger Hängung an der Rückwand der Haupthalle findet sich ein Super-Mario, der doppeldeutig für “Action and Fun” wirbt. Die popkulturellen Referenzen sind vielfältig in Michel Majerus’ Werkschaffen, aber nicht nur die kapitalistische Konsumkultur, deren inhaltslose Bildwelt, wird findig aufs Korn genommen, der Künstler richtet sich in seiner Kritik auch an die Kunst und ihre Institutionen selbst.

Der Blick hinter die Kulissen

Immerzu ist den Arbeiten ein Augenzwinkern gemein, wenn sich Majerus in “Fuck” (1992) ikonoklastisch im Kontext von Vorgängern und Zeitgenossen positioniert, beinah blasphemisch am Mythos von Größen der Malerei des 20. Jahrhunderts kratzt oder – ganz anders – in einem für Stiftung Warentest typischen Urteil die Bewertung von Kondomen aufschlüsselt, wovon 20 sehr gut bis zufriedenstellend waren, aber eins mangelhaft. Was auf den ersten Blick den Anschein von reiner Oberflächlichkeit hat, beschäftigt sich genau mit eben dieser Banalität kapitalistischer Bildkultur und entwickelt zugleich in der Aussage oftmals politische Brisanz. Die überlebensgroße Auflistung von Eigenschaften der Parteien beispielsweise stellt einen humorvoll-bissigen Leitfaden als “Entscheidungshilfe” für Wahlen dar, ist gespickt mit Vorurteilen und gibt typische Narrative wieder wie: Grüne “schützen Grashalme, morden Babys, sind Deutschen-Hasser, schwärmen für Schwule”. Abschließend kommt die Aufzählung zu dem Urteil, dass alle fünf Parteien das deutsche Volk “durch eine Promenadenmischung aus allen Völkern der Welt: Multi-Kultur” auslöschen wollten und deshalb “nicht wählbar” seien. Augenfällig ist hier die bis ins Heute reichende Aktualität bezogen auf die Problematik rund um das Thema der Fake News.

Immer wieder blitzen im poppigen Bilderkosmos die Abgründe der Realität hervor, schwären unter der pastellfarbenen Oberfläche, weiten sich als dunkle Risse in der scheinbaren Makellosigkeit aus, bis die Kulisse einer perfekten Welt an der Realität scheitert und angesichts aufklaffender Nahtstellen in sich zusammenfällt. Ungewöhnlich ist es, wenn die Mainzelmännchen plötzlich krank im Bett liegen und das Leben beklagen oder lustige Werbebären mit hohlen Augen aus viel zu kleinen Boxen ragen. Weiße Farbschlieren überdecken zuweilen die vielfarbigen Bilder, manche Leinwände bleiben gänzlich leer, getaucht in einen undurchdringlichen Schleier von Grau, sind trotz unbeschriebener Sprechblasen in ihrer Aussage seltsam laut. So vielfältig sich die Referenzen in Majerus‘ Schaffen gestalten, so mannigfaltig sind die Bezugnahmen auf ihn selbst in der zeitgenössischen Kunst. Nicht verwunderlich, könnten Majerus‘ Arbeiten doch zeitgenössischer kaum sein, wird der Einfluss von Werbung, Fernsehen, Computern, Videospielen und Popkultur langfristig eher größer als kleiner. Ein medial durchdrungener Alltag ist zur Normalität geworden, verändert das Leben eines jeden und einer jeden von uns. Zukunftstechnologien wie beispielsweise smarte Kontaktlinsen oder das Metaverse werden diese Verschränkung nur noch weiter fortführen, lassen das Smartphone direkt zu einem Bestandteil des Körpers werden. Die comicartige Darstellung von einem Skelett hinter Gittern mit umgestürztem Wasserkrug und einer gezackten Sprechblase mit der Bezeichnung „artist’s space“ könnte genauso heute als Meme auf der Social Media-Plattform Instagram funktionieren.

Zurück zu den Anfängen

Die KW Institute for Contemporary Art zeigen 20 Jahre nach Majerus’ plötzlichem Tod bei einem Flugzeugabsturz einen Querschnitt seiner frühen Arbeiten. In 80 Werken, manche davon noch nie öffentlich präsentiert, wird in “Early Works” Einblick in die Zeit zwischen 1990 und 1996, die Jahre vor seinem internationalen Durchbruch, gewährt. Die Schau ist Teil einer bundesweit an verschiedenen Orten stattfindenden Ausstellungsreihe, die das gesamte Werkschaffen des Künstlers wieder an die Oberfläche holen soll, angetrieben von der in Berlin ansässigen Michel Majerus Estate. In den KW lässt sich nun an die Anfänge zurückgehen, bis zu Majerus’ Stuttgarter Akademiezeit bei K.R.H. Sonderborg und Joseph Kosuth, deren Einfluss deutlich sichtbar ist und letzterer sogar namentlich als Hippie-Homer Simpson auftaucht. Die gemeinsam mit KommilitonInnen gegründete Gruppe “3K-NH” wird ebenfalls thematisiert, deren Ziel es nach eigener Aussage war, “die Nutzlosigkeit der Kommunikation im Allgemeinen, insbesondere in Werbung und Kunst zu enthüllen” (zitiert nach 3K-NH, Ausstellungskatalog, Stuttgart 1992/1993). In den betrachteten Zeitraum fällt zudem Majerus kurz nach der Wende erfolgter Umzug in die Hauptstadt. Die Berlin eigene Janusköpfigkeit zwischen Zentrum des Geschehens und dem Gefühl von existenzieller Verlorenheit ist in den Werken dieser Zeit unverhohlen zu sehen.

Die wütende Verve seiner Arbeiten, eine Art jugendliche Rebellion überträgt sich von den Malereien auf die Besuchenden der Ausstellung. Die Bildsprache ist frisch, die Aussagen mutig und kritisch, zweifeln an einer bürgerlichen Erziehung, an der Kunst, an der als heilig empfundenen Unantastbarkeit von Institutionen. Insbesondere dem altehrwürdigen Medium der Malerei galt Majerus’ Augenmerk, dem Austesten ihrer Grenzen und der fehlenden Aktualität. Immer wieder sind seine Bilder provokativ in der Motiv- und Sprachwahl, erregen mit goldenem Hakenkreuz auf pinkem Grund und dem Schriftzug “learning GERMAN is easy”, der Bezug auf die luxemburgische Herkunft des Künstlers nimmt, Aufsehen. Die Ausstellung zeigt einen noch auf der Suche befindlichen, jungen Maler mit einem sich jedoch langsam herausbildenden ganz eigenen Stil, innerhalb dessen wiederkehrende Motive und Techniken bereits auftauchen, spätere Entwicklungen vorgezeichnet sind. Aus Kostengründen verwendete Majerus zu Beginn beispielsweise zusammengenähte Stoffstücke, ganz ähnlich der Technik, in der er später Leinwände zu großen Bildtableaus montierte. Vieles ist noch Experiment, ein beständiges Tasten in alle Richtungen, ein Ausloten der Möglichkeiten. Mit einem Zeitungsausschnitt von Dürers Schmerzensmutter nach dem Säureangriff 1988 ausgestattete Hostienverpackungen und mit Abbildungen von Museen bedruckte Hostien im Innern waren so der erste Versuch einer Edition.

Arbeiter an der Gegenwart

Die in der Haupthalle der KW gezeigten Arbeiten sind schließlich am Ende der fokussierten Zeitperiode entstanden, erinnern an Plakatwände im öffentlichen Raum und weisen in ihrer Größe schon auf spätere Werke hin. So wie Majerus mittels Appropriation hinter die bunte Fassade der Realität blickte, insinuiert es auch die Ausstellungsarchitektur. Der Boden ist mit metallischen Streben bedeckt, lässt hinter die Kulissen blicken, mutet in Baustellenoptik an wie im Prozess begriffen. “Industrieboden” entstand 1996 für die erste institutionelle Einzelausstellung von Majerus in der Kunsthalle Basel, war ein Versuch, mit einer ortsspezifischen Installation aus der Zweidimensionalität des Bildes auszubrechen und in die Dreidimensionalität des Raums hinauszutreten. Die großformatigen Werke sind an Gerüststreben montiert, charakterisieren Majerus als eine Art Arbeiter an der Gegenwart. Wie die schwarzen Linien eines Ausmalbuchs gibt die Ausstellung ein gedankliches Gerüst vor, lässt jedoch gleichsam Raum für Gedankenspiele, für eine ganz eigene Interpretation.