Mercedes Azpilicueta in der Düsseldorfer Sammlung Philara
Ein beständiges Wispern durchdringt die große Ausstellungshalle der Sammlung Philara. Es flüstert, singt und lacht. Man spürt es ganz deutlich, das geteilte Geheimnis, das verborgene Vorhaben, während Messer Kartoffeln schälen oder die Nähmaschine kracht. Weibliche Stimmen sind es, die sich immerzu überlagern, sich verabreden zum gemeinschaftlichen Protest. Bunt und vielfigurig wölbt sich inmitten dieser Soundkulisse gleich einem Paravent eine 12 Meter lange Textilarbeit quer durch den großen Ausstellungsraum. Narrative historischer Ereignisse entspinnen sich, erinnern an große geschichtsträchtige Textilarbeiten wie den Teppich von Bayeux. Von hinten tun sich in invertierten Farben bunte Gegenbilder auf, bilden eine Nische, in der versteckt ein weißes Kleidungsstück hängt. Wie eine Bühne ist es, die man betritt, sich mit Augen wie Füßen erschließt, deren Architektur sich wölbt und atmet, wie lebendig durch den Raum sich zieht. Von der Decke hängen gleich Geistern weitere Kleidungsstücke, Umhängetaschen, Kopfbedeckungen. Sie sind vergleichbar Requisiten, unbefleckte Zeugen des Protests. Ein Stuhl und ein Servierwagen lugen zudem aus Wand wie Boden, als wäre der Grund plötzlich weich wie ein Sumpf geworden, die Wand durchlässig und die Möbelstücke halb darin versunken, ihrer ursprünglichen Funktionalität beraubt. Mit den Titeln “The Resting Quote” und “The Tasty Quote” weist sie Künstlerin Mercedes Azpilicueta sie als Zitate aus, erinnern sie an Werke der liechtensteinischen Künstlerin Anna Marie Jehle.



Historische Ambivalenzen
All das sind erzählerische Stücke, die vom Widerstand berichten, von feministischen Protesten, die persönlich sind und gleichsam universell. Von den Kartoffelaufständen 1917 in Amsterdam, die angesichts Lebensmittelknappheit und Preiserhöhungen zur Zeit des Ersten Weltkriegs von Arbeiterinnen initiiert wurden, bis zur Protestbewegung #Niunamenos 2015 in Lateinamerika, die in Reaktion auf den Femizid an der Argentinierin Daiana García entstand. Durch alle Zeiten ziehen sich die Recherchen von Azpilicueta, ein besonderes Interesse hat die Künstlerin jedoch am Barock, wenn sie sich beispielsweise den Gemälden von Artemisia Gentileschi oder barocken Kleidungsstücken widmet. In einem der kleineren Räume breitet sie zudem als Collage auf Jacquard-Textil die Geschichte der baskischen Nonne Catalina de Erauso aus, die im frühen 17. Jahrhundert als Mann verkleidet aus ihrem Konvent floh. Anschließend reiste sie nach Südamerika, wurde dort zum rücksichtslosen sogenannten “Nonnen-Leutnant” und stand im Dienst der spanischen Macht. Sie bildet eine ambivalente historische Figur queeren Widerstands und zugleich kolonialer Gewalt, deren Leben als Mann sogar vom Papst anerkannt war. Die Simultandarstellung ist merklich an historischen Vorbildern orientiert, könnte als kostbare Reliquie direkt aus der Vergangenheit entlehnt sein. Dahinter schimmern jedoch holografische Figuren, die wie metallische Sticker auf der Wand aufsitzen und spiegelnd zurück in die Gegenwart führen.
Immerzu ist es dieses Verschmelzen von Altem und Neuem, von historischen und zeitgenössischen Darstellungsformen, welche die Werke der in Argentinien geborenen und in Amsterdam lebenden Künstlerin ausmachen, wenn sich in einer Videoarbeit zum Beispiel PerformerInnen barocken Gemälden mittels Bewegungen annähern. Einen der Räume widmet Azpilicueta ganz explizit “Judith enthauptet Holofernes” von Artemisia Gentileschi – heute ein emanzipatorischer Akt? Eine andere Videoarbeit zeigt ebenfalls PerformerInnen, die sich tänzelnd durch den Königlichen Botanischen Garten in Madrid tasten, ihn mit Bewegungen umkreisen. Viele der dort vorhandenen Pflanzen wurden unter dem Deckmantel “wissenschaftlicher Expeditionen” durch die damalige spanische Kolonialmacht zusammengetragen. Diese kolonial erworbenen Pflanzen, das kolonial erworbene Wissen, das beispielsweise auch die Gewinnung von Cochenille-Farbstoffen aus getrockneten Schildläusen einschließt, wird hier in der Domestizierung von Natur zum Ausdruck gebracht.



Das geheime Leben der Dinge
Immer wieder begegnen den Besuchenden der Ausstellung “Barockes Flüstern” Aspekte von Körperlichkeit, auch wenn der Körper in den ausgestellten Kleidungsstücken fehlt, ist er doch stets mitgedacht. Aus Stoffresten, Haarteilen und glänzenden Stoffen zusammengefügte Designs assoziieren in ihrer Ästhetik barocke Kostüme, aber auch im Heute verortetes queeres Nachtleben und Bondage-Kultur. Nach Tieren benannt werden die toten Kleidungsstücke aus der Reihe “Kinky Affairs at Home” beinah lebendig, entwickeln ein Eigenleben, sprengen das Korsett festgefügter Genderzuschreibungen. Die herabhängenden Bänder von “The Spicy Kangaroo” lassen dabei an eine überlebensgroße Figur mit langen, dürren Armen und Beinen denken, assoziieren aber auch einen aufsteigenden Schmetterling, der in einer Metamorphose hin zu seiner wahren Form begriffen scheint. Sie ermutigen in Kombination mit Zeichnungen grotesker Figuren, in Übersetzungen nicht zu entschlüsselnde, historische Bestiarien, zu einem Leben entgegen der Norm, abseits gesellschaftlichen Zwangs. Vielleicht fühlt sich selbst größer, wer all das ablegen und eins der Kleidungsstücke anlegen kann.
Azpilicueta stellt die bisher ungehörten Stimmen aus Geschichte wie Gegenwart ins Zentrum ihrer Arbeit, gibt ihnen ein Forum, überhöht sie jedoch nicht, sondern kehrt auch ihre inneren Widersprüchlichkeiten ans Licht. Zugleich werden das traditionell weiblich besetzte Handwerk der Textilproduktion und die dadurch assoziierten festgefügten Rollenbilder sukzessive aufgelöst. Denn über das rein technische hinaus geht es vielmehr um das gemeinsame Nähen, Kooperationen mit anderen Kunstschaffenden sowie partizipativ organisierten Protest. Denn erst zusammen lässt sich bewegen, was zuvor noch unbewegbar schien.