Über Femme fatale. Blick – Macht – Gender, Hamburger Kunsthalle, 9. Dezember 2022 bis 10. April 2023.
Sich windend wie der Rhein um den Felsen, auf dem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert das Sinnbild der Loreley wohnt, nimmt die Ausstellung Femme fatale. Blick – Macht – Gender die Sirene aus Clemens Brentanos Ballade Lore Lay als Ausgangspunkt für eine Betrachtung von mehr als 200 Kunstwerken zum gewählten Sujet der Femme fatale. Ihr soll mit dieser Ausstellung ein neues, überarbeitetes und vor allem lautstarkes Image zukommen. Inmitten des Topos Loreley sind es zunächst zwei abstrakte Bilder von Aloys Rump (*1949), die der Künstler 2022 mit Schiefermehl aus der Grube Rhein nahe Bacharach, unweit des Einzugsgebiets der Loreley, gemalt hat. Gehängt an einer zweiseitig zu betrachtenden Stellwand, wirken sie wie ein Tor, das – rheinaufwärts, rheinabwärts, linksherum, rechtsherum – passiert werden muss mit der Frage, was man sich mit dieser kuratorischen Setzung als Rahmung des Sujets grundsätzlich gedacht hat. Im Umschiffen der in den Raum gesetzten Bildtafeln fällt der Blick auf Elisabeth Jerichau-Baumanns Meerweib (1862/63), das als im Mondschein schwimmende Nixe mit Seegras auf den blonden Locken mir doch eher einen genervten Blick zeigt, als würde sie mit einer einzigen diskreditierenden Geste ihrer Augen jegliche ihr entgegengebrachte Zuschreibungen infrage stellen. Jerichau-Baumann (1819–1881), die sich nach der Ablehnung als Privatschülerin bei Julius Hübner – dessen Bilder in der Hamburger Ausstellung unmittelbar übers Eck in Sichtkontakt zu ihrem Meerweib hängen – durch Karl Ferdinand Sohn unterrichten ließ, wurde von ihren Düsseldorfer Kollegen als “der einzig wahre Mann”1 skizziert und entwickelte sich als Künstlerin sowie Mutter von acht Kindern zu einer international anerkannten Porträt-, Genre- und Historienmalerin. Kontexte wie diese wären in einer Ausstellung, die sich mit den Themen Blick, Macht und Gender befasst, geradezu ein Amuse-Gueule gewesen, noch dazu innerhalb des ersten der vielzähligen Kapitel der von Markus Bertsch kuratierten Schau.



Sensible Inhalte – selbstermächtigende Sprache
Doch die Inhalte der die Ausstellung erläuternden Texte verfolgen ein anderes Narrativ, das insbesondere von dem Begleitheft “Doing Feminism – With Art!”, umgesetzt in Zusammenarbeit mit dem Missy Magazine, dominiert wird: “Sexualität und Dämonisierung”, “Binarität”, “Rassismus”, “Orientalismus” oder “Antisemitismus” sind darin angeführte Themen2, die auch als unterstrichene Begriffe der Wandtexte schlagwortartig in den Raum geworfen und in ein Verhältnis zum männlichen Blick gebracht werden: Da der male gaze als solcher ständig präsent sei,3 wird er als der männlich dominierten Kunstgeschichte immanent betrachtet. Eine subtil vermittelte These, die in Bezug auf die Darstellungen der hier gezeigten Femme fatale pauschal in Narrative verwoben und angewendet wird. Für alle Kunstbetrachter:innen, die sich nun im Gegenüber der Werke von Künstler:innen zwischen den Bedeutungen von BIPoC, Cis- und Trans-Geschlechtlichkeit, Heteronormativität, Misogynie und Othering orientieren müssen, liegt ein Glossar aus, um durch das Sprachkorsett zu navigieren, das die Ausstellung ihren Besucher:innen auferlegt. Wem dieses projektive Vermittlungsprogramm zu komplex ist, kann über das eigene Smartphone mit Chatbots kommunizieren, die beispielsweise der Medea (undatiert) von Evelyn De Morgan (1855–1919) Worte in den Mund legen auf Fragen, die (von ihr) nicht beantwortet werden können. Immerhin: Der 60-minütige Rundgang durch die Ausstellung, der über die App der Hamburger Kunsthalle verfügbar ist, gibt einige Anhaltspunkte zu den Exponaten. Mythologische Figuren, zum Beispiel wie Circe, Helena von Troja, Phryne oder Judith, werden im Rahmen der ersten 100 Werke der Ausstellung, die größtenteils im 19. Jahrhundert gemalt oder herausgebildet wurden, erläutert und in Zusammenhänge gesetzt.
Ein interaktives Conversation Piece?
Aber zurück zur Ausstellung. Noch bevor der Blick auf die Maler:innen der Präraffaeliten fällt – wie auf Dante Gabriel Rossetti und die von ihm dargestellte Jane Morris, die für ihn wie auch für zahlreiche weitere Künstler:innen der englischen Künstlerbewegung Modell stand, die selbst auch künstlerisch tätig gewesen ist und die nicht nur die Frage nach der Femme fatale mit sich bringt, sondern wie Charakter, Gesellschaft, Gender, Sexualität, und Ethnizität ineinandergreifen4 – werden die Ausstellungsräume der Galerie für Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle von einer lautstarken Geräuschkulisse durchzogen. Es ist die filmische Installation Six Acts (2018) von Sonia Boyce, die aus einer performativen Arbeit in der Manchester Art Gallery hervorgegangen ist. Dort hatte sie ausgehend von der vorwiegend in dieser Institution gezeigten viktorianischen Malerei am Beispiel des Bildes Hylas und die Nymphen (1896) von John William Waterhouse (weiße) Körperbilder und zwischenmenschliche Machtausübung in einen kritischen Diskurs gebracht. Boyce (*1962), die Kunst als soziale Praxis sowie kollaborativen Prozess begreift und mit Six Acts ein interaktives Conversation Piece geschaffen hat, legt ihrer Arbeit Austausch und Partizipation zugrunde und eröffnet so Räume für Reflexion wie mitunter über Intersektionalität. Derart raumgreifend integriert an zentraler Stelle zu Beginn der Ausstellung, macht es den Anschein, als solle Femme fatale. Blick – Macht – Gender einen ebensolchen Diskursraum erzeugen, wie ihn Boyce mit ihrem Happening in Manchester geschaffen hatte. Doch was durch Boyces Arbeit Six Acts zu einer Auseinandersetzung mit den von ihr kritisierten, von Kontinuitäten getragenen Gesellschaftsstrukturen anregt, läuft bei der Ausstellung Femme fatale auf eine fatale Erzählkunst hinaus.



Zwischen gorgonischen Blicken
Die “Dämonisierung weiblicher Sexualität”, die durch mythologische Frauenfiguren wie Lilith, Salome, Medusa oder Medea prägend für die Femme fatale-Figur sei, soll in der Hamburger Ausstellung durch den Fokus auf die “männlich und binär geprägte Blickordnung” erklärt werden: Blick-, Macht- und Gender-Konstellationen seien für das Bild der Femme fatale konstitutiv.5 Zugleich wird die Femme fatale als Stereotyp erklärt. Doch aus welcher Perspektive und mit welcher Intention wird hier geschaut? In welchen Rahmen werden Stilrichtungen der Malerei des 18. Jahrhunderts über Symbolismus, Impressionismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit bis hin zu der frühen feministischen Avantgarde und zu aktuellen queer- und intersektional feministischen Perspektiven gesetzt? In einem Gespräch mit dem NDR sagt der Kurator Markus Bertsch, er könne sich mit einem solchen Frauentypus wie dem der Femme fatale nicht mehr identifizieren; sie stünde für ein überkommenes Geschlechtermodell.6 Doch legitimiert die Frage der bloßen Identifikation mit einem Sujet ein polarisierendes Lesen entlang der Kunstgeschichte? Ist es bei mehr als 200 Darstellungen diverser (kultur-)historischer Zusammenhänge überhaupt möglich, von einem Typus der Femme fatale und von male gaze zu sprechen, ohne demokratische, gesellschaftspolitische und feministische Errungenschaften wie Frauenwahlrecht oder die Zulassung von Frauen an Kunstakademien zu thematisieren? Mehr als der Versuch, einen toxischen männlichen Blick quer durch die Darstellung der Femme fatale in der Neueren Kunstgeschichte zu identifizieren, wäre die Frage, was die Bedingungen eines solchen Blicks gewesen sein mögen und wie er sich gar von einem “weiblichen Blick” oder etwa einem “non-binären Blick” unterscheidet.
Denken über dem Meeresschaum
Werke von Künstlerinnen wie Jeanne Mammen (1890–1976), Sylvia Sleigh (1916–2010), Maria Lassnig (1919–2014), Mary Beth Edelson (1933–2021), Ulrike Rosenbach (*1943) oder Betty Tompkins (*1945) sprechen mit der Dekonstruktion des Patriarchats in ihrer Kunst aus sich selbst heraus. Topkins ganz explizit mit ihren Werkreihen Women Words (2017/18) und Apologia (2018), in denen sie primär kunsthistorisch überlieferte Frauenfiguren und -körper mit auf sie projizierten Narrativen überschreibt. Das Bild Apologia (Suzanne Valadon #1) (2018) stellt den nackten Körper der Malerin Suzanne Valadon alias Eva hingegen frei, der ihres Geliebten in der Figur des Adam erscheint in Wortmotive gehüllt. Das von Tompkins hier aufgegriffene Bild Adam et Ève (1909) von Valadon war 1911, als es erstmals ausgestellt wurde, eine Seltenheit, zeigte es Valadons Geliebten komplett nackt, erst nachträglich wurden seine Genitalien mit Blättern bedeckt7 – wie nun Tompkins seinen Körper mit rosafarbenen Worten bekleidet. Es sind Worte und Sätze, die die Künstlerin durch Umfragen gesammelt hat und die ein abwertendes Vokabular abbilden, das Frauen “beschreibt”. Ausgeführt hat sie diese Sammlung auch in Farbe auf Leinwand unter dem Titel Women Words (2012–2016), die sie in Referenz auf erfolgreiche Kunstwerke männlicher Kollegen oder auf abstrahierte Vulven malte. Es verwundert nicht, dass die Hamburger Ausstellung mit einem Werkkomplex wie diesem zu ihrem Ende kommt. Exit through the Gift Shop.
Rote Lederhandschuhe, Spieluhr und Muschel
Es sind noch viele weitere, hochinteressante Exponate in der Ausstellung Femme fatale. Blick – Macht – Gender zu sehen und zu entdecken. Ihre kontextuelle Lückenhaftigkeit sowie ihr inflationär pädagogisches Framing dekonstruieren nicht etwa die zu kritisierenden Aspekte, die der Femme fatale-Figur (bis heute) anhaften, sondern die Fähigkeit zu einer konstruktiven kritischen Kunstbetrachtung als solcher. Wenn mir der Chaotbot der Helena von Troja in Rossettis Darstellung aus dem Jahr 1863 im Chat die Nachricht sendet, “[a]n mir kann man sich kaum sattsehen, oder? – [Emoji Krone, Pfeil durchs Herz, weiße lobende Hand] – Hier siehst du mich in meiner vollen Pracht!”, bleibt für mich in aller Kürze des programmierten und zugespitzten “Dialogs” schließlich die Frage: Wer soll das Publikum dieser Ausstellung und generell in Museen sein? Rote Lederhandschuhe, Spieluhren und den mit einer Muschel verzierten Schmuck in der Auslegeware des Museumsshops irritieren einmal mehr die in der Hamburger Kunsthalle präsentierte Bezugnahme auf die Femme fatale. Am Ende bleibt, so scheint es, alles, wie es war.
1 Zitiert nach Birgit Verwiebe: Von Dorothea Therbusch bis Anna Peters. Malerinnen von 1780 bis 1880 in der Sammlung der Nationalgalerie, in: Yvette Deseyve/Ralph Gleis (Hrsg.): Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin, Reimer, Berlin 2019, S. 17–35, hier S. 28.
2 Vgl. Begleitheft zur Ausstellung “Femme fatale. Blick – Macht – Gender”, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2022, S. 5.
3 Ebd., S. 9.
4 Vgl. Wendy Parkins: Jane Morris. The Burden of History, Edinburgh University Press, Edinburgh 2013, S. xiv.
5 https://www.hamburger-kunsthalle.de/ausstellungen/femme-fatale, zuletzt aufgerufen am 07.01.2023.
6 Markus Bertsch in: „,Femme fatale‘: Sexistische Kunst thematisieren oder verbannen?“, Beitrag von Anette Schneider, NDR Info, 09.12.2022, TC 00:01:07-00:01:15, https://www.ndr.de/kultur/kunst/Femme-fatale-Sexistische-Kunst-kontextualisieren-oder-verbannen,femmefatale106.html, zuletzt aufgerufen am 07.01.2023.
7 Vgl. Nancy Ireson (Hrsg.): Suzanne Valadon. Model, Painter, Rebel, Ausst.-Kat. The Barnes Foundation, Philadelphia, Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen, Paul Holberton Publishing, London 2021, S. 90, 94.