Foto: Albrecht Fuchs. Das Foto zeigt Ulrike Rosenbachs Arbeit "Art is a criminal action (Elvis III)", vorbereitet für die Hängung in der Galerie Clement in Bonn.

„Ein Zweig mit Blättern gibt mir mehr als ein Auto“

Ulrike Rosenbach, berühmte Performancekünstlerin und Pionierin der Videokunst, feiert in diesem Jahr ihren 80. Geburtstag und wird mit einer Retrospektive im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe und mit einer Ausstellung in der Galerie Gisela Clement in Bonn geehrt.

Provinz – da tauchen im Kopf gleich Klischees auf von Landflucht, Überalterung, Ärztemangel. Doch die Zeiten, in denen gerade Jüngere Dorf und Einsamkeit entflohen, sind seit der Corona-Pandemie und dem sich weiter verstärkenden Trend zum Homeoffice wohl endgültig vorbei. Das merkt auch Ulrike Rosenbach, die schon seit bald 35 Jahren nicht mehr in der Stadt, sondern auf dem Land lebt. "Ich bin nach meiner Pensionierung in die Eifel gezogen, weil es dort einfach billiger ist. Das merken jetzt auch die jungen Leute. Immer mehr Menschen zieht es in die Eifel, weil Wohnen und Ateliers in den Städten einfach immer teurer werden", sagt sie.

Doch schon in Saarbrücken, wo sie 1990 als Gründungsrektorin der Kunsthochschule Saar antrat und bis 2007 eine Professur für Neue künstlerische Medien innehatte, bevorzugte sie es, isoliert im Wald, in Schloss Gutenbrunnen bei Homburg, zu wohnen. Zu dieser Zeit entstanden skulpturale Installationen, wie Requiem für eine Eiche oder Isabel im Wald, in denen sie die Zerstörung der Natur zum Thema machte und etwa Baumrindenstücke ausstellte, die vom Borkenkäfer befallen waren. Überhaupt ist der Baum ein immer wiederkehrender Begleiter, den sie wie in der Medienrauminstallation Schlacht der Bäume von 1989 in einer gewissen Kongruenz zeigt, also auf eine Stufe mit dem Menschen hebt. Darin zitiert eine Frau wie in Trance eine keltische Druiden-Ballade während gleichzeitig Aufnahmen von Bäumen und Kriegsbilder ineinander montiert über einen Monitor flackern.

Nach Beendigung ihrer Hochschulzeit im Saarland kehrte sie zunächst ins Rheinland zurück, zog ins Vorgebirge, in einen Ortsteil von Bornheim, und danach in die Eifel, wo sie in Bad Münstereifel lebt und arbeitet. Bereits einige Male ist sie umgezogen, zuletzt wegen des Jahrhunderthochwassers 2021, weil auch ihr Haus unter Wasser stand und sie eine Nacht lang auf der Dachterrasse ausharrte, bis sie gerettet wurde.

Ohne den Einfluss der einschlägigen Kunstzentren und der damit einhergehenden Nähe zu Kolleg*innen scheint ihr Werk allerdings kaum denkbar. Von 1964 bis 1970 studierte Ulrike Rosenbach an der Kunstakademie Kunstvermittlung und – als einzige Frau zu dieser Zeit – Bildhauerei bei Karl Bobeck und Norbert Kricke. 1969 wechselte sie in die Klasse von Joseph Beuys und wurde als eine von zwei Frauen zu seiner Meisterschülerin ernannt. Zu der Zeit entstand auch ihre ikonische Fotomonage Kunst ist eine kriminelle Handlung: In die Vorlage von Andy Warhols Siebdruck Double Elvis montierte sie sich selbst als "Double Ulrike" mit Holster und Revolver, neben dem von Warhol gestalteten Elvis Presley – ein Angriff auch gleich zwei pop­kulturelle Ikonen. Doch Rebellinnen wie Rosenbach waren damals nicht gefragt. Alfred Schmela, schwer angesagter Galerist in Düsseldorf, riet ihr abfällig: "Frauen halten nicht durch", als Rosenbach ihm eröffnete, freie Künstlerin werden zu wollen.

Anerkennung erfuhr sie dafür früh in den USA. Nach ihrem Akademieabschluss unterrichtete sie 1972 als Gastdozentin am California Institute of the Arts (CalArt) in Los Angeles, eingeladen hatte sie John Baldessari. Außerdem lernt sie dort wichtige Pionierinnen der feministischen Kunst, wie Lucy Lippard und Judy Chicago kennen, mit denen sie sich vernetzte und deren Arbeit sie bis heute prägt. "Kunst und Frauen – das Thema, war in Deutschland komplett neu, in den USA aber nicht", sagt sie. Als Ulrike Rosenbach 1976 nach Deutschland zurückkehrte, gründete sie nach amerikanischem Vorbild mit anderen Frauen ihre eigene Schule des kreativen Feminismus, um die Dominanz der Männer in der Kunstgeschichte zu hinterfragen. Ihr erster Auftritt in der Düsseldorfer Kunsthalle mit einer Naturkreisaktion kam indes nicht gut an. "Spektakulär furchtbar" habe Jürgen Harten, damals Direktor der Kunsthalle, ihr Werk gefunden. "Ich war die einzige, neben Franz-Erhard Walther, die in der Beuys-Klasse Aktionen machte". Ihre Naturkreisaktion bestand aus einer Performance mit Vögeln und einem durchsichtigen Mantel. "Es passierte nicht viel", sagt sie. "Aber bei den Aktionen von Beuys passierte ja auch nicht viel".

Heute legendäre Ausstellungen wie prospect 1971 in der Düsseldorfer Kunsthalle, kuratiert von Konrad Fischer, wurden für sie zur Initialzündung, weil sie dort das Performen vor der Kamera erstmals anhand von Body-Art-Künstlern wie Vito Acconci kennenlernte. "Ich habe Video gewählt, weil ich mich beim Filmen sofort sehen konnte, das war komplett neu." Ihre Entscheidung für das damals noch junge Medium Video war auch die Entscheidung für ein Medium, das von Männern nicht so "vorbelastet" war.

1975 entstand eine von Rosenbachs bekanntesten Video-Aktionen Glauben Sie nicht, dass ich eine Amazone bin. Rosenbach schießt mit einem Bogen fünfzehn Pfeile auf ein Madonna-Gemälde und überblendet das Gesicht der Madonna mit ihrem eigenen. In ihren Werken zur Rolle der Frau hinterfragt sie die Kunstgeschichte, wie in ihrer berühmten Installation Herakles – Herkules – King Kong, mit der sie 1977 an der documenta 6 in Kassel teilnahm. Zu sehen ist eine mehrere Meter große Fotoreproduktion des griechischen Gottes, unter dessen Arm Rosenbach einen Monitor platziert hat. Auf diesem spricht sie selbst in einer Art Ein- und Ausatembewegung in Endlosschleife das Wort "Frau". Auch wenn die Rolle der Frau in der Kunstgeschichte immer in ihrer Arbeit präsent ist, blieb sie nicht im Feminismus hängen, sondern vernetzte sich in alle Richtungen.

Die Produzentengruppe ATV, die sie Ende der 1970er-Jahre gemeinsam mit Klaus vom Bruch, mit dem sie damals liiert war, und Marcel Odenbach im eigenen Videostudio mit angeschlossenem Nachbarschaftsfernsehen ins Leben rief, ließ sich nur in einem Kunstzentrum wie Köln und mit der Unterstützung durch die Videogalerie Oppenheim realisieren. Das Label "Videokünstlerin" haftet ihr seitdem konsequent an, dabei hat ihr Werk eine sehr viel größere Spannbreite.

Ulrike Rosenbach bedeuten alle Medien gleich viel. Wichtig war ihr immer die Wechselwirkung von Performance und Video, wozu noch Installation, Fotografie, Zeichnung und auch Ton treten können. Ihr künstlerisches Selbstverständnis ist breit angelegt und verbindet ihr großes kulturhistorisches Wissen mit der Rolle der Frau in der Kunstgeschichte und neuesten elektronischen Medien. Sie beschäftigt sich mit archaischen Mutter-Idolen, indischen Göttinnen oder antiken Amazonen genauso wie mit der Natur und ihrer mythischen Rolle. "Ein Zweig mit Blättern gibt mir mehr als ein Auto", sagt sie. Nicht nur die Zerstörung der Natur ist Thema, indem sie in Aktionen mit dem Baum in Kontakt tritt, wie in Tanz um einen Baum, einer Performance, die sie 1979 in Sydney mit der Videokamera aufnahm. Sie fesselte sich mit einem Kabel an einem Baumstamm, nahm sich gewissermaßen selbst gefangen, bis sie komplett bewegungsunfähig war.

Dass die Sorge um die Natur zentrale Bedeutung für Rosenbach hat, zeigte sich etwa auch in der Foto/Video-Installation AMA-ZONAS, die nach einem Besuch im Waldgebiet des Amazonas entstand, und die zwischen ökologischer Botschaft und der Hinwendung zur Meditation balancierte. Ein weiterer zentraler Begriff im Kunstverständnis von Ulrike Rosenbach ist die Transformation. Bereits ihre Video-Installation Or-phelia, die unter anderem auf der 8. documenta zu sehen war, ist eine sich über drei Monitore ziehende Verschmelzung des Orpheus-Mythos mit der Ophelia-Geschichte. In ihren Ausstellungen kombiniert sie immer ältere und neuere Arbeiten bzw. greift ältere Arbeiten auf und entwickelt sie weiter. Themen wie Geschlechterrollen, Weiblichkeit in der Kunstgeschichte oder das Verhältnis Natur und Mensch – Ulrike Rosenbachs Werk liegt nicht nur eine intensive Recherche, sondern auch eine tiefe Erfahrung zugrunde. Egal ob sie im Urwald des Amazonas die Kraft der Natur bewundert oder in der Eifel auf Spaziergängen die Wälder durchstreift, "der Bezug zur Natur ist ganz wichtig für mich", sagt sie und fügt hinzu, dass ihr Werk in der Stadt "so nicht zu machen gewesen" sei.