Jaana Caspary und Christina Irrgang im Atelier, Foto: Anna Schwartz

Zu ihrer Bildhauerei gehört ein durchdachtes Atelier

Ein Tag mit Jaana Caspary in Wuppertal.

Die Arbeiten der Bildhauerin Jaana Caspary erwecken bereits seit einigen Jahren mein Interesse: Caspary erzeugt anhand plastischer Körper Perspektiven, die sich über die rein künstlerische Wahrnehmung hinausbewegen und die Lebensräume sowie -wirklichkeiten reflektieren. Kennengelernt haben wir uns bei einer Autofahrt von Wuppertal nach Bielefeld, gemeinsam auf dem Weg zu einer Ausstellung einer befreundeten Künstlerin. Jetzt zeigt Jaana Caspary im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal eine Einzelausstellung mit dem Titel ebenda. Diese Ausstellung ist Anlass für ein Gespräch, für das ich die Künstlerin zusammen mit der Fotografin Anna Schwartz einen Tag lang in Wuppertal begleitet habe. In Casparys Atelier sprachen wir über ihre Skulpturen, Zeichnungen sowie fotografischen Arbeiten und die infrastrukturellen und individuellen Notwendigkeiten, die ihrem Arbeiten als Bildhauerin zugrunde liegen. In Folge eines Spaziergangs durch den Skulpturenpark Waldfrieden besuchten wir ihre Ausstellung und unterhielten uns über das Herstellen, Zeigen und Erleben von Skulptur und darüber, weshalb das Arbeiten mit den Händen und dreidimensionalen Objekten für Jaana Caspary von Bedeutung ist.

Raumsituationen

Jaana Caspary sitzt auf dem Sofa in ihrem Atelier nahe der Wupper. Die hallenartigen Räume mit vier Meter hohen Decken sind hell erleuchtet: Tageslicht fällt durch eine lange Fensterreihe, die sich zur Flussseite hin öffnet und durch die in regelmäßigen Abständen die vorbeiziehende Schwebebahn sichtbar wird. “Bevor ich dieses Atelier entdeckt habe, arbeitete ich ein Jahr lang in einem Atelier, das in der vierten Etage lag und das nur über einen schmalen Flur zugänglich war. Für die Arbeit im Medium Skulptur nicht unbedingt gut geeignet”, bemerkt die Bildhauerin Caspary, die zunehmend Skulpturen im Großformat umsetzt, und fährt fort: “Da kommt man schnell an räumliche Grenzen.”

Für ihr jetziges Atelier hat ihr Vermieter die Eingangstür verbreitert, Caspary selbst hat die Räume in verschiedene Arbeitsbereiche unterteilt, die ihre Arbeitsprozesse auch räumlich gliedern: In einem Bereich etwa baut sie Formen, erforscht deren Wirkung als Objekt – hier fertigt sie Modelle an, die dann zur weiteren Ausführung in beispielsweise die Gießerei gehen. In einem durch Einbauten abgetrennten Bereich führt sie Lackierarbeiten aus oder bearbeitet kleinere Bronzeskulpturen nach, poliert sie. Schließlich umgibt sie sich nahe der Sitzgruppe, wo wir Platz genommen haben und miteinander sprechen, auch mit jenen Skulpturen, die sie bereits fertiggestellt hat: “Mir ist wichtig, dass es Raum gibt, in dem ich meinen Skulpturen begegnen kann, denn auch der Anschauungsprozess ist Teil meiner künstlerischen Arbeit. In diesem Zusammenhang baue ich immer wieder um oder lagere Objekte in mein Lager aus, wenn ich mehr Platz für eine neue Arbeit benötige.”

Der Raum zum Arbeiten ist essenziell für die Bildhauerin. Aus diesem Grund hat sie ihr Atelier gezielt in Wuppertal gesucht. Viel Freiraum, zentrale Lage, weniger hohe Mieten. “Vielfalt finde ich wichtig”, sagt Jaana Caspary, “doch ein Atelier in größeren oder angesagteren Städten kann ich mir weniger vorstellen. Ich schätze den Austausch zwischen Künstler:innen und Akteur:innen im Kunstbereich auf kurzen und direkten Wegen. Und insbesondere als Bildhauerin gibt es Aspekte, die es bei meiner Arbeit zu berücksichtigen gilt, Gewichte und Volumen etwa. Eine Skulptur, die 1,7 Tonnen wiegt, muss zunächst einmal durch die Ateliertür passen und von dort aus auch mit einem Kran bewegt werden können. Bestenfalls findet sie Platz in einem Lkw, ansonsten muss ich mit einem Schwerlastentransport kalkulieren. Viele organisatorische Faktoren sind bei der Arbeit im Großformat zu berücksichtigen, Skulptur beansprucht auf eine gewisse Art Raum, sie erfordert je nach Ausführung neue Lösungen.”

Wie kommen Material und Halterung bei einer Wandarbeit zusammen? Steht eine freistehende Skulptur in sich oder benötigt sie ein besonderes Fundament oder eine stabilisierende Platte? “Für die Skulptur upside-down (2022), die gerade im Skulpturenpark Waldfrieden in meiner Ausstellung ebenda zu sehen ist und die dort nach der Ausstellung permanent im Sammlungsbestand verbleiben wird, war mein Atelier trotz vier Meter Deckenhöhe zu klein. Denn die Skulptur ist insgesamt vier Meter hoch, doch um die zwei Teile, aus der sie besteht, aufeinanderzubauen, brauchte ich eine Raumhöhe von sechs Metern. Um das 1:1-Gussmodell zu bauen, bin ich in den Hinterhof der von hier aus nahe gelegenen Galerie Grölle ausgewichen: Dort gibt es eine große Halle, in der ich die Skulptur im Zeitraum 2020/21 als Modell umgesetzt habe. Zur weiteren Ausführung in Bronze ging sie dann in die Gießerei.”

Fundstücke und Alltagsobjekte

Unterschiedliche Produktionstechniken und Formprozesse umspannen Jaana Casparys bildhauerisches Werk. Oft geht eine Zeichnung einer Skulptur voraus, eine in Keramik oder Ton modellierte Form, als auch Abformungen in Acryl, Gießharz oder Gips. “Im Modellbau überlege ich, welche materiale Ausführung der Skulptur zukommt”, bemerkt die Künstlerin, “vieles entsteht aber auch im Prozess. Die Bronze Swirl (2023) beispielsweise, die im Außenraum des Skulpturenparks Waldfrieden vor der unteren Ausstellungshalle zu sehen ist, wollte ich zunächst grün patinieren. Im Produktionsprozess habe ich mich dann aber dazu entschieden, ihre geschliffene schimmernde Oberfläche beizubehalten.”

Nach dem Besuch ihres Ateliers fahren wir in den Skulpturenpark, sitzen unter freiem Himmel auf einer Bank vor dieser Bronze und blicken an ihr vorüber in die Ausstellungshalle hinein, die inmitten des Waldes steht. „Die Steine für Rondablikk (2023), weißer Opal, und Bubbles (2022), der schwarze Marmor Nero Marquina mit feiner leichter Maserung, sind beide aus Italien, aus den Carrara-Werkstätten. Bei diesen Arbeiten habe ich mit Steinbildhauern zusammengearbeitet”, berichtet Caspary. “Vom Steinblock hinein in die Feinheiten, bis die Oberfläche gespannt und geglättet ist.” Es ist eine feinsinnige Sprache bildplastischer Ästhetik, der ich in Jaana Casparys Worten folge und die sich im Angesicht ihrer Skulpturen – ihrer mitunter surrealen Formenwelt und der präzis ausgewählten Materialien – verwirklicht. Caspary wiederholt und verdoppelt dabei aus dem alltäglichen Gebrauch überlieferte Formen, führt von Verfremdungsprozessen des Gegenständlichen hinein in abstrakt-ästhetische Eigenwelten. „Die Form des Planschbeckens wie bei dem in Gips gefertigten Wandrelief Oktogon (2021) ist eine solcher Formen, die ich aktiv suche. Es ist ein Beispiel für Formen, die für mich in ihrer Alltäglichkeit bereits eine skulpturale Qualität haben. Diese forme ich in meinen künstlerischen Prozessen ab – von der Negativform ins Positiv –, transformiere Fundstücke, wie ich sie nenne, auch durch ihre Vervielfältigung zu eigenständigen Skulpturen.“ Dabei unterzieht Caspary die als Vorbild herangezogenen Objekte einer materialen Dekonstruktion: Durch die Reproduktion oder auch quantitative Vervielfältigung und Neuzusammenstellung von Formen entbindet die Künstlerin sie ihrer Nutzbarkeit und ihrer Narrative. Jaana Casparys künstlerische Setzung wirkt als Replik eines Readymades.

Casparys Wege zur Bildhauerei

“Ich habe mich nicht bewusst für Skulptur entschieden – es kam eins zum nächsten”, antwortet die 1988 in Wuppertal geborene Jaana Caspary auf meine Frage, was sie dazu veranlasst habe, als Bildhauerin tätig zu werden. Dabei erzählt sie, dass sie schon immer gerne mit ihren Händen gearbeitet habe.

Die Sommermonate ihrer Kindheit verbrachte sie mit ihrer Familie auf einer Insel in Finnland: Ihr Vater, der Maler ist, hat dort eine ehemalige Sauna zu einem Atelier umgebaut, vor dem ein großer Tisch stand, an dem draußen gearbeitet wurde. Auch Jaana Casparys Mutter ist Künstlerin, Fotografin. Mit ihrem Bruder ist Caspary dort durch die Wälder gezogen, hat Wurzeln und Äste gesammelt, ihre Rinde abgeschliffen, das Gefundene zu Objekten zusammengesteckt.

Während eines Praktikums bei den Wuppertaler Bühnen im Bereich Bühnenplastik hat sie dann durch die Anregung des Werkstattleiters Tiere in Ton modelliert, die als Relief abgegossen wurden. “Dabei ist mir aufgefallen, dass mir die dreidimensionale Arbeit liegt”, bemerkt Caspary. Ausgehend hiervon absolvierte sie in der Schulzeit ein längeres Praktikum im Atelier des Bildhauers Tony Cragg in Wuppertal, wo sie infolgedessen hin und wieder arbeitete und viel über den Umgang mit Holz und Styropor lernte: “Materialien, Werkzeuge, die Bildsprache der Skulpturen – das hat mich alles fasziniert”, so Caspary.

Essenziell für ihre Arbeit waren nicht zuletzt ihr Studium in der Klasse des belgischen Bildhauers Didier Vermeiren an der Kunstakademie Düsseldorf und die durch ihn angeregte Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen Skulptur und Sockel beziehungsweise mit dem Volumen des Podests und Raum: “Dabei bin ich geblieben”, sagt Caspary und fährt fort: “Ich denke bei der Anfertigung einer Skulptur immer auch ihre Präsentationsweise mit, ihren Bezug zum menschlichen Körper, zum umliegenden Raum. Manchmal fertige ich den Sockel in gleicher oder ähnlicher Materialität wie die Skulptur selbst, manchmal konzipiere ich eine Bodenskulptur so, dass sie ganz und gar ohne Podest in sich am Boden ruht: Je nachdem, was die Skulptur – auch in dem, was über sie hinausgeht – braucht.”

In ihrer aktuellen Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden zeigt Jaana Caspary neben ihrem bildhauerischen Werk erstmals Zeichnungen. “Ich habe immer viel gezeichnet, primär Skizzen, doch vor drei bis vier Jahren habe ich das Zeichnen als solches wieder aufgenommen.” Auch in Paris, wo sie 2016 einen Stipendienaufenthalt an der Cité Internationale des Arts absolvierte, habe sie viel gezeichnet – mitunter deshalb, weil der Ort für ihr bildhauerisches Arbeiten weniger geeignet gewesen ist.

Die Zeichnung als Medium hat für die Künstlerin verschiedene Funktionen: Zum einen entwickelt sie über das Zeichnen Formen für ihre skulpturale Arbeit. Doch auch Aspekte des Bildhauerischen übertragen sich, wenn Caspary mit einem Stift Formen auf einem Blatt Papier modelliert, in bildnerische Tiefen und Höhen geht und körperhafte Räume hierbei entstehen: so zum Beispiel ineinander verwobene Schnüre, in groben Maschen geflochtene Seile oder als Blasen kumulierte Gewebe, die Caspary durch in sich kreisende Bewegungen hervorgebracht hat und die dadurch ihrerseits dreidimensional wirken, nahezu auf dem Blatt schweben. “Deshalb nenne ich sie Bildhauerzeichnungen”, so die Künstlerin.

Ihre Auseinandersetzung mit der Genese von bildplastischen Formen ist vielfältig, etwa auch in Form von fotografischen Arbeiten oder Fotocollagen, bei denen sie entweder gefundene (organische) Objekte ablichtet oder bereits fotografisch reproduzierte Produktformen extrahiert und neu zusammensetzt – mit der Frage, wie solch eine Form vielleicht auch als Körper im Raum funktionieren könnte.

Über das eigene Arbeiten hinaus

Das Zeigen von Kunst anderer Künstler:innen, die Jaana Caspary inspirieren, ist ihr wichtig. Ausgehend von einem kleinen Ausstellungsraum in Wuppertal-Arrenberg, den Caspary unterhielt, lud die Galerie Grölle sie 2016 ein, ein gemeinschaftliches Ausstellungsformat zu verwirklichen: Im Raum2INTERVENTIONS stellt Caspary so seit einigen Jahren Werke von Künster:innen aus, um städteübergreifende Begegnungsräume zu schaffen – zum Beispiel mit Künstler:innen aus Berlin und Bielefeld. Eine ihrer besonderen Initiativen ist das 2018 von ihr gegründete Skulpturenprojekt Hardt, mit dem sie als Kuratorin und Künstlerin plastische Werke in den öffentlichen Raum Wuppertals brachte: “Skulptur ist ein dreidimensionaler Körper, den man aus verschiedenen Perspektiven im Raum erfassen kann, auch im Außenraum, unter freiem Himmel. Das war meine Intention, als ich das Skulpturenprojekt Hardt im Botanischen Garten Wuppertal begonnen habe. Skulptur in der Natur zu erfahren, in Wechselwirkung mit ihr, mit Bäumen, Gewächsen. Skulptur muss nicht zwingend im Museum ausgestellt werden. Dass Skulpturen Menschen im öffentlichen Raum erreichen können, empfinde ich als einen großen Gewinn bezüglich ihrer Rezeption.”

Jaana Casparys Ausstellung ebenda im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal, ist dort noch bis zum 6. August 2023 zu sehen.

Fotos im Atelier: Anna Schwartz, Wuppertal, annaschwartz.de
Fotos der Skulpturen: Michael Richter, Wuppertal