Protect Protect metal, 2023. 24 gold, moon gold, platinum, palladium and red gold leaf and oil on linen. Text: US government document © 2023 Jenny Holzer, member Artists Rights Society (ARS). NY Photo: Sveva Costa Sanseverino

Die Sprücheklopferin

Jenny Holzer im K21, Düsseldorf, 11.03. bis 06.08.2023.

Jenny Holzer hat sich seit dem Beginn ihrer Laufbahn in New York, zwischen 1977 und 1979, mit sprachlichen Botschaften beschäftigt, die sie in knappe textliche Form fasst und als “Truisms” bezeichnet. Binsenweisheiten oder Gemeinplätze also. Darunter finden sich Äußerungen, die nachdenklich stimmen können, aber auch solche wie “Humor ist ein Ventil” oder “Automatisierung ist tödlich”. Jeweils für sich betrachtet, ist ein Schulterzucken für Botschaften dieser Art wahrscheinlich schon zu viel, wenn man ehrlich ist. Doch durch die selbstgewählte Kategorisierung schafft die Künstlerin zwischen sich und ihren “Truisms” eine Distanz. Denn Gemeinplätze kann man sich zwar zu eigen machen. Aber man kann für sie kein Urheberrecht in Anspruch nehmen. Wichtiger noch als künstlerische Autorschaft ist Holzer offenbar die Veränderung des Kontextes, in dem ihr Material erscheint.

Die Künstlerin schlägt dazu besondere Wege der Verbreitung ein. Ihre Botschaften werden mithilfe leicht zugänglicher Kopiertechnik vervielfältigt und als “wilde” Plakatanschläge am Kunstpublikum vorbei auf der Straße zur Schau gestellt. So nutzt sie die Kommunikationswege der großstädtischen Subkultur. Vielleicht fehlt ihr zu dieser Zeit das Selbstvertrauen, ihr Glück in einer der New Yorker Galerien zu suchen. Genauso gut ist es möglich, dass sie nicht die Kontrolle über die Verbreitung ihrer Botschaften verlieren will. Denn auch in den nun folgenden Phasen ihrer Laufbahn sucht sie Öffentlichkeit immer wieder auf Wegen, wie sie typisch für die Werbewirtschaft, nicht jedoch für den Kunstbetrieb sind. Fotos aus dieser Zeit zeigen, wie ihre “Anschläge” funktionieren: Relativ kleinformatige, auf farbigen Papieren gedruckte Plakate werden in Serien geklebt, füllen nebeneinander große Flächen und setzen sich in der seriellen Wiederholung der strengen Typografien auffällig von der Ästhetik plakatierter Werbung ab. Die Präsentation im Souterrain des K21 kommt dieser Situation relativ nahe.

Die Künstlerin selbst berichtet in einem Interview, dass ihr die Plakatierung der Truisms die Möglichkeit bot, quasi im Schutz des Schattens verharrend, Passanten, die ihre Arbeiten betrachten, unentdeckt zu beobachten. Auch hierin kann man ein Moment der Distanzierung, vielleicht sogar des Selbstschutzes sehen, das ihre Arbeit in den ersten Schaffensjahren begleitet. Dem widerspricht nicht unbedingt, dass Holzer zugleich den Kontakt zu ihrem Publikum sucht, und zwar abseits der Begegnungsmöglichkeiten, die der Kunstbetrieb bieten könnte.

Kunst als Sozialkritik?

Mit ihren “Inflammatory Essays” (1979 – 1982) geht Jenny Holzer einen Schritt weiter. In jeweils 100 Worten thematisiert sie Intoleranz, Gewalt, Konsum, Aktivismus, Machtmissbrauch, die Rolle der Frau und vieles mehr. Auch die “Inflammatory Essays” werden plakatiert. Das Verfahren, mit dem Holzer für ihre Werke eine Öffentlichkeit sucht, ändert sich also noch nicht. Hingegen werden ihre Botschaften persönlicher.

Dann kommt die Phase, in der die Künstlerin die Gutenberg Galaxie hinter sich lässt und ihren künstlerischen Kosmos ausdehnt: Es wird nicht mehr gedruckt, es kommen nun häufiger zeitgemäßere technische Möglichkeiten zur Anwendung, um ihre Botschaften zu verbreiten. Anfang der 80er-Jahre erscheint am Times Square auf einem riesengroßen Billboard eine ihrer bekanntesten Botschaften: “Protect me from what I Want.” Holzer kommt in diesem Zusammenhang auf ihre Erfahrungen mit den “Truisms” zurück: Die Botschaften werden wieder knapper. Außerdem werden sie buchstäblich zum Leuchten gebracht und auf monumentale Dimensionen vergrößert. So erschließt sich Jenny Holzer einen ganz neuen Weg, ihr Publikum zu finden. Allerdings wird Öffentlichkeit nach wie vor abseits des Kunstbetriebs hergestellt. Noch zeigt Jenny Holzer sich als reine Straßenkünstlerin. Doch dabei bleibt es nicht, zumindest nicht ausschließlich, denn bereits im Vorfeld ihrer ersten großen Ausstellung, 1989 im Guggenheim-Museum, wechselt sie erneut das Trägermedium. Ihre Botschaften werden nun auch in Stein gemeißelt, als Inschriften auf den Sitzflächen von Marmorbänken, die sie zu Installationen verbindet.

1990 ist das Jahr ihres internationalen Durchbruchs. Jenny Holzer vertritt die USA auf der Biennale in Venedig. Als erste Frau bespielt sie den amerikanischen Pavillon. Auch hier wird nun Marmor verwendet, die Wände und Böden des Gebäudes werden komplett mit diesem Material verkleidet und können ihre Botschaften aufnehmen. Und hier zeigt sich zum ersten Mal eine Kontroverse, die rund um ihr Werk entsteht und bis heute anhält. Denn schon 1990 gibt es Besucher der Biennale, die infrage stellen, ob man aus Redewendungen, die ihre gewöhnliche Herkunft nicht verleugnen können, Kunst machen kann, indem man sie in Marmor meißelt. Andere Besucher wiederum sehen gerade darin eine gewollte “Unangemessenheit”, die als Kritik an der amerikanischen Gesellschaft verstanden werden sollte. Das klingt überzeugend, zumal sich vergleichbare Beispiele dafür, wie sich Zeugnisse banaler Alltagskultur veredeln lassen, bei Künstlern wie Jeff Koons, Claes Oldenburg, Wolf Vostell, Daniel Spoerri und vielen anderen finden. Aus dieser Perspektive wären die Arbeiten Holzers kein “Größenwahn”, sondern Sozialkritik.

Aussstellungsansicht. Im Vordergrund mit: Truisms, 1977–79 Installation: JENNY HOLZER, Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, Germany, 2023 © 2020 Jenny Holzer, member Artists Rights Society (ARS), Video: on art

Auf diese Formel hat sich die Kunstkritik inzwischen verständigt. Man darf allerdings Zweifel hegen, ob die biedere Gesinnung, die die Befürworter von Jenny Holzers Kunst damit an den Tag legen, nicht ebenso an den Gegebenheiten vorbeigeht wie die ihrer Kritiker. So lässt uns beispielsweise Vivien Trommer, die Kuratorin der Ausstellung im K21, wissen: “Sie hat ganz viele Generationen seit den siebziger Jahren berührt und immer wieder bewegt und zum Nachdenken angeregt. Zuletzt ist einer ihrer Truisms, für den sie eigentlich am bekanntesten ist, ‘Abuse of power comes as no surprise’, von der Me-Too-Bewegung wiederentdeckt worden. Das heißt, das, was sie in den siebziger Jahren geschaffen hat, ist eigentlich relevant bis heute.” Nicht besser wird es, wenn dieser Standpunkt verkürzt wird: “Gesellschaftskritik als Hingucker” oder “Schicker Look, harter Inhalt” heißt es zum Beispiel bei “Titel Thesen Temperamente” am 19. März.

In diesen Zuschreibungen ist das Bewusstsein, dass Holzer zumindest in ihren kurzen Botschaften ja eigentlich nur zitiert, völlig abhanden gekommen. Andernorts, da, wo dieses Bewusstsein greifbar ist, wird behauptet, Holzer zitiere die Sprache der breaking news, der Werbung und der Massenmedien. Aber gerade die bekanntesten ihrer Sprüche kommen eben nicht aus einer dieser Quellen, sondern könnten aus einem Poesiealbum oder Haussegen stammen.

Noch schwieriger wird die Zuordnung, wenn man sich mit den “Inflammatory Essays” befasst. Sie bestehen aus jeweils 100 Wörtern, die in jeweils 20 Zeilen arrangiert sind und auf farbige Papiere gedruckt werden. Auch die Typografie der Essays folgt einem klaren Programm: Verwendet wird die Univers von Adam Frutiger, wodurch den Botschaften eine Prägung strenger Klarheit verliehen wird. In Art in America schreibt Leah Pires dazu: “The concision and conviction of the language invites easy agreement—a feeling that is quickly complicated by the contradictions that become apparent when the statements are read together.” Wieder werden Zitate verwendet, aber nun werden diese den Schriften von Revolutionären, Anarchisten oder Diktatoren entnommen. Widersprüche und Ungereimtheiten nimmt Holzer dabei billigend in Kauf.

Die Ausstellung im K21 gewährt einen weiteren Einblick in das Schaffen Holzers: In der Bel Etage des Hauses werden zwanzig der großformatigen “Redaction Paintings” gezeigt, einer Werkgruppe, die Holzer im Jahr 2005 begann und bis zum heutigen Tag fortsetzt. “Redaction” weist hier nicht so sehr auf die Bearbeitung des Materials durch die Künstlerin hin, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass es sich um die Wiedergabe von Dokumenten der Regierung der Vereinigten Staaten handelt, die vor ihrer Freigabe teilweise eingeschwärzt wurden, um diese Teile unkenntlich bzw. unleserlich zu machen. Auch hier arbeitet Holzer mit reduzierten Mitteln – einerseits zeigt die starke Vergrößerung Wirkung, andererseits appliziert Holzer die Dokumente und Grafiken auf metallische Untergründe, was die groteske Wirkung der Arbeiten verstärkt: Kaum jemand, der diese Werkgruppe beschreibt, verzichtet auf den Hinweis, dass sich einige der genutzten Grafiken, wahrscheinlich urspünglich Teil einer Powerpoint-Präsentation, durch eine ausgeprägte Vereinfachung der dargestellten Sachverhalte auszeichnen. Dies erklärt sich durch die ihnen ursprünglich zugedachte Verwendung: Es heißt, sie dienten der Information des amerikanischen Präsidenten George W. Bush über die amerikanischen Kriegsziele im Irak.

Und dann noch dies: In der Mitte der Ausstellungsräume der Bel Etage findet sich eine Installation mit dem Titel “Lustmord”. Sie besteht aus angehäuften echten (sic!) menschlichen Knochen. Einige der Knochen sind mit Silberringen verziert, auf die wiederum Botschaften eingraviert wurden. Die Installation entstand als Reaktion auf Gewalttaten im Bosnien-Krieg.

“The Medium is the message”

In einem Beitrag des Kunstforums mit dem auf Holzer Bezug nehmenden Titel “Protect me from what I want”, in dem es um “Bild-Text-Strategien in Plakat, Collage und Meme” geht, erkennt man in der Gegenüberstellung, zum Beispiel mit Arbeiten von Rauschenberg, Kippenberger und Dahn, dass Holzer in ihren Arbeiten genau das vermeidet, was die Autorin Rosa Windt als “Charakter des Improvisatorischen und Individuellen” betrachtet. Windt stellt damit klar, dass es nicht um die Herausstellung einer wie auch immer sich gestaltenden Autorität durch Autorschaft geht. Das scheint sich, auf den ersten Blick, ganz gut in das Bild einzufügen, das die Künstlerin von sich selbst entwirft. Über ihre künstlerischen Absichten hat Jenny Holzer selbst einmal gesagt: “When people come by I want them to think about the content. I don’t want them to wonder wether it’s art, much less good or bad art. I want them to think about the subject matter.” Ganz in diesem Sinne meint ihre Düsseldorfer Kuratorin: “Die Ausstellung wird zu einem politischen Ort.”

Man darf sich dennoch fragen, ob sich Holzers Absicht, ihr Publikum dazu zu bewegen, Abstand von ästhetischen Fragestellungen zu nehmen und sich stattdessen vom Inhalt ihrer Botschaften ansprechen, ja vielleicht sogar zu Kritik oder Widerstand bewegen zu lassen, mehr als nur frommes Wunschdenken ist. Der Bosnien-Krieg liegt, zum Zeitpunkt der Anhäufung der Knochen im K21, bereits Jahre zurück. Und natürlich ist es unwahrscheinlich, dass sich Befürworter von Kriegshandlungen (sofern es überhaupt einen Grund für die Annahme gibt, dass sie Ausstellungen zeitgenössischer Kunst besuchen), von den Werken Jenny Holzers inspirieren lassen, ihre Position zu revidieren. Wer dennoch die inhaltlichen Aspekte der Botschaften Holzers in den Vordergrund rückt, läuft in Gefahr, andere Aspekte zu vernachlässigen. So hat Saskia Trebing bereits anlässlich des 70. Geburtstags der Künstlerin davor gewarnt, dass die Versuchung, Holzers Arbeiten auf ihre textliche Ebene zu reduzieren, die Gefahr mit sich bringe, die “formale Komplexität ihres riesigen Werkes” zu übersehen. Dabei kann eigentlich nicht bezweifelt werden, dass Holzers künstlerisches Interesse eben nicht nur dem Inhalt ihrer Botschaften, sondern auch ihrer Verbreitung gilt. Denn dadurch, dass sie die Kanäle kommerzieller Kommunikation in ihren technischen Spielarten isolierend freilegt, entsteht eine künstlerische Anatomie der Massenkommunikation. Die wiederum kann man ganz sicher auch politisch interpretieren. Und man kann darin die eigentliche künstlerische Leistung Jenny Holzers sehen. Abgesehen davon, dass sie der Straßenkünstlerin, einer Künstlerin also, die nach wie vor die Straße als Distributionsweg für ihre Kunst nutzt, bis zum heutigen Tag treu geblieben ist.