Lee Miller, Picasso and Lee Miller in his studio, Paris, 1944. © Lee Miller Archives, East Sussex, England.

"Deutschland ist ein schönes Land … und wird von Schizophrenen bewohnt"

Lee Miller – Fotografin zwischen Krieg und Glamour, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 10. Juni bis 24. September 2023.

Cauliflower Breasts, zwei mit rosa gefärbter Mayonnaise übergossene Blumenkohlköpfe, Goldfish, der mit geraspelten Karotten bedeckte Kabeljau, oder Penroses, die mit Foie Gras gefüllten Champignons, die Lee Miller (1907–1977) nach ihrem Ehemann Roland Penrose benannt hatte und mit denen sie sogar einen Kochwettbewerb gewann – das sind Gerichte, die sich Miller für das Zusammensein mit befreundeten Künstler:innen ausdachte oder für Dinnerpartys auf ihrer südlich von London gelegenen Farm.

Die Farley Farm und das dazugehörige Haus in Muddles Green, Chiddingly, East Sussex, bezogen Miller und Penrose im Frühjahr 1949 in Ergänzung zu ihrer Londoner Stadtwohnung. Was zunächst als Wochenenddomizil gedacht war, entwickelte sich zunehmend zu einem Ort, an dem das Paar regelmäßig Gäste empfing, die sie entweder auf ihren jeweiligen künstlerischen Wegen aus der Zeit des Surrealismus begleitet hatten oder die Penrose als Mitbegründer des Londoner Institute of Contemporary Arts einlud.

Lee Miller kultivierte im Garten von Farleys Farm unter anderem Heilpflanzen wie Borretsch, mit dessen Blüten sie etwa in Formen gepressten Reis oder Getränke dekorierte, und sammelte unzählige Rezepte sowie über 2000 Kochbücher. Mitte der 1970er-Jahre arbeitete sie selbst an einem Kochbuch mit dem Titel The Entertaining Freezer, das aber unveröffentlicht blieb.

Dort, im Farleys House, wo sich heute der Nachlass dieser außergewöhnlichen Künstlerin, Fotografin und Kriegsberichterstatterin des Zweiten Weltkriegs befindet, die ihre Karriere 1927 in New York als Fotomodell für die amerikanische Vogue begann, vergrub Lee Miller ihre inneren Bilder und Kriegstraumata in der physischen Auseinandersetzung mit Geschmäckern bei der Komposition surrealistischer Menüs. Ihre Fotografien, Negative, Filmrollen, Kriegsreportagen, Briefe, Kameras wie auch ihre Uniform der US-Armee verbarg sie auf dem Dachboden des Hauses, bis Lee Millers Sohn, Antony Penrose, diese nach ihrem Tod dort fand und der Welt zugänglich machte.

Die Spektren der Lee Miller

Lee Millers wiederentdeckte Bilder sind in den vergangenen Jahren mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung vielmals gezeigt worden. Umso überraschender erweist sich die Ausstellung Lee Miller – Fotografin zwischen Krieg und Glamour im Bucerius Kunst Forum in Hamburg als eine Schau, die dicht an die Facetten der Lee Miller heranrückt und ihre künstlerische wie menschliche Vielfalt anhand eines fein zusammengestellten Spektrums ihrer Bilder und eines Katalogs1 herausarbeitet, der die Ausstellung mit aufschlussreichen Beiträgen über Millers Lebenswerk begleitet.

Die von Karin Gimmi vom Museum für Gestaltung Zürich in Zusammenarbeit mit Daniel Blochwitz kuratierte Schau fächert so Lee Millers Sein und Schaffen auf: Zunächst erschien sie selbst auf Modefotografien, die der renommierte Edward Steichen oder auch George Hoyningen-Huene von der jungen Lee Miller für die amerikanische Vogue aufnahm. Zwischen 1929 und 1932 fertigte sie in ihrer Zeit in Paris im Zusammenleben mit Man Ray und den Surrealisten erste eigene künstlerische Fotografien an. Dann folgen Selbstporträts, in denen Miller über die Ausleuchtung verschiedener Texturen der von ihr getragenen Kleider und arrangierten Objekte nicht nur Werbung für sich, sondern auf ihre Fertigkeiten als Porträt- und Modefotografin in ihrem New Yorker Studio aufmerksam machte. In den Jahren 1934 bis 1937 vertiefte sie in Kairo ihr künstlerisches Werk mit einem Fokus auf abstrahierte Landschaftsfotografie. Bei Kriegsbeginn 1939 zog Lee Miller nach London zu Roland Penrose und fotografierte als freie Mitarbeiterin der britischen Vogue erste Kriegsreportagen. Diese führten schließlich 1942 bis 1946 zu Lee Millers Position als Kriegsberichterstatterin der US-Armee für die Vogue mit kontinuierlichen Veröffentlichungen in der britischen und amerikanischen Ausgabe dieser Modezeitschrift.

Grenzen von Licht und Schatten

Bereits als Kind war die 1907 in Poughkeepsie, New York, geborene Elizabeth Miller mit dem Medium Fotografie vertraut gemacht worden, fertigte ihr Vater Theodore Miller doch fortlaufend Porträtfotografien und mit zunehmendem Alter auch Aktfotografien von Lee Miller an, die er mitunter im stereoskopischen Verfahren umsetzte.2 Sie selbst nahm zunächst Unterricht in experimenteller Bühnen- und Lichtgestaltung bei Ladislas Medgyès in Paris und erweiterte 1926 ihre Faszination für den künstlerischen Umgang mit Licht und Schatten bei Studien des Experimentaltheaters mit Hallie Flanagan am Vassar College in Millers Geburtsort.

Lee Millers Sensibilität für die Dramaturgie eines (fotografischen) Bildes durch gezielte Ausleuchtung zeigt sich in den in der Hamburger Ausstellung präsentierten Werken vielgestaltig, doch insbesondere in der Serie Portraits from Four Saints in Three Acts (1933): Zu sehen sind die Akteur:innen Bruce Howard, Edward Matthews, Altonell Hines und Bertha Fitzhugh, die Miller anlässlich der Uraufführung der gleichnamigen surrealistischen Oper von Virgil Thomson am Wadsworth Atheneum in Hartford fotografiert hatte.3 Bemerkenswert in diesen Aufnahmen ist Millers Herausstellen von Gestik und Mimik, Hell und Dunkel, wie es in dieser Zeit ähnlich von dem Fotografen Helmar Lerski in seinen Gesichtsstudien umgesetzt worden war. Auch Lerskis Blick auf das menschliche Antlitz wurde durch seine Arbeit am Theater und beim Stummfilm geprägt.4

Lee Miller wiederum knüpfte während ihrer engen Zusammenarbeit mit Man Ray in Paris in ihren Porträts an das durch sie wiederentdeckte Verfahren der Solarisation an, etwa mit Solarised portrait [Thought to be Meret Oppenheim] (1932), bei dem die dargestellte Figur schematisch-linienhaft im Bild hervortritt. Miller formulierte in ihrer Bildsprache so zunehmend eine assoziativ-abstrakte, sensible wie auch direkte Annäherung an den Menschen, die sie mitunter durch starke Retuschen derart radikal umsetzte, dass von ihr Porträtierte losgelöst vom eigenen Körper auf der schwarzen Bildfläche zu schweben scheinen wie in Floating head [Mary Taylor] (1933).

In zerbombten Städten

Ein besonderer Schwerpunkt der Ausstellung im Bucerius Kunst Forum ist – vermutlich in Bezug zu seinem Stifter Gerd Bucerius als ehemaligem Verleger und Herausgeber – der Fokus auf Lee Millers Presse- und Reportage-Fotografie, die für die Künstlerin einen essenziellen Abschnitt und Einschnitt in ihr bis dahin geführtes Leben beschreibt: Sie akkreditierte sich 1942 als zivile Kriegsberichterstatterin bei der US-Armee als Fotografin und Kolumnistin für die britische Vogue. Und sie war damit, wie beispielsweise Margarete Bourke-White, eine der wenigen Frauen, die überhaupt über den Krieg berichten konnten.

Insbesondere die Jahre 1944 und 1945 prägten Lee Miller, als sie beginnend mit dem D-Day mit den Alliierten in der Normandie landete. In Saint-Malo erlebte sie die Belagerung der bretonischen Stadt und einen der ersten Luftangriffe, bei denen Napalm eingesetzt wurde, hautnah an der Front mit und schilderte ihre Erlebnisse eindrücklich in Bild und Wort. Kaum dass Paris im August 1944 befreit war, fertigte Lee Miller einige Fotografien von langjährig befreundeten Künstler:innen an, so bei einem Wiedersehen mit den Vertrauten Pablo Picasso, Nusch und Paul Éluard, Elsa Triolet, Louis Aragon und Roland Penrose in Picassos Atelier; und sie bestärkte mit einem Bericht über Colette die intellektuelle Freiheit. Nach Stationen wie in Rennes, wo sie Frauen fotografierte, die der Kollaboration mit Nazis bezichtigt wurden, folgte schließlich die Belagerung Deutschlands, die Miller von März bis Mai 1945 begleitete. Diese Zeit hielt für sie als Kriegsberichterstatterin wie als Mensch die möglicherweise größten Herausforderungen bereit – allem voran das Konzentrationslager Dachau, in dem sie mit amerikanischen Truppen einen Tag nach der Befreiung des Lagers am 30. April 1945 eintraf und wo sie Bilder von Tätern, Opfern und Folterstätten aufnahm. Die Fotografien von Menschen zwischen Leben und Tod, die im Bucerius Kunst Forum in einem abgedunkelten Kabinett gezeigt werden, sind schwer auszuhalten. Lee Miller sagte rückblickend auf dieses Erleben: "Den Gestank Dachaus in meiner Nase bin ich nie wieder losgeworden."5

In ihren Reportagen drückte sie wiederkehrend und variantenreich eine umfängliche Verachtung gegenüber den "Krauts" und "Krautland" aus: "Deutschland ist ein schönes Land – mit Dörfern wie Juwelen und zerbombten Stadtruinen – und wird von Schizophrenen bewohnt"6, lautet der Aufmacher ihres Beitrags Deutschland. Der Krieg ist gewonnen. In ihm berichtete sie über das von ihr im besiegten Deutschland Erfahrene und Gesehene für die Vogue, die im Juni 1945 erschien. Es folgte ihr Beitrag Hitleriana, der mit einem Foto von Lee Miller in Hitlers Badewanne im Sommer 1945 den Höhepunkt ihrer Kriegsberichterstattung markierte.

Hitlers Badewanne

Unmittelbar nach Dachau eröffnete sich für Lee Miller und David E. Scherman, der für das Magazin Life fotografierte und der Millers Truppe seit der Normandie begleitete, die Möglichkeit, Hitlers Münchner Privatwohnung am Prinzregentenplatz aufzusuchen. Sie konnten einige Tage in ihr wohnen und seltene Fotografien anfertigen – so die fotografische Reihe, bei der Miller und Scherman gegenseitig Aufnahmen von sich in Hitlers Badewanne machten. Die von beiden inszenierte Bildfolge weist noch heute emblematische Wirkung auf: Auf der linken Seite des Bildes wird Miller (respektive Scherman) von einer Fotografie flankiert, die Adolf Hitler in einem 1933/34 durch den "Reichsbildberichterstatter" Heinrich Hoffmann aufgenommenen Porträt des Führers als Reichskanzler zeigt. Von diesem Bild wendet sich Miller durch die Ausrichtung ihres Körpers ab, während ihr Blick an der Statuette Die Ausschauende (1936) von Rudolf Kaesbach vorbei in einen unbestimmten, symbolischen Raum führt. Spätestens seit der documenta 13 im Jahr 2012 werden die Fotografien Millers/Schermans breit diskutiert. Dort präsentierte die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev jenes Foto Lee Millers als impulsgebend für ein assoziatives Denken, indem sie es zentral in der Rotunde des Fridericianums im sogenannten Brain positionierte – umringt von den im Bild enthaltenen Objekten. Doch ist es bei der Betrachtung dieses Bildes vernachlässigt worden, dass das von Miller/Scherman verwendete Foto Hitlers nahezu ikonografischen Charakter in der NS-Propaganda gehabt hatte, ja dass diese Ansicht als Sinnbild des Führers gehandelt worden war – dessen endgültige Abwesenheit als Besiegter und Toter wiederum Lee Miller mit ihrer Inszenierung vergegenwärtigt.7 Vor der Badewanne stehen Millers Stiefel, die sie wenige Stunden zuvor noch im KZ Dachau getragen hatte – einem Ort, an dem sie Spuren von Unsagbarem fotografierte und von dem sie nicht zu Fotografierendes als Bilder mitnahm, die in ihrem Inneren verblieben. Mit ihrer entkleideten Pose in Hitlers Badewanne verkörperte Lee Miller als (verletzter) Mensch die Rolle der Zeugin der durch sie wahrgenommenen Untaten. Gegen diese Untaten hat sie mit ihrer Arbeit als Fotografin und Autorin – als eine Notwendigkeit von Sehen und Denken – in nachhaltig beeindruckender Weise Position ergriffen.

Schlussbilder

So umfassend die vielen scharfkantigen Lebensabschnitte der Lee Miller sind, so weitreichend ist die Hamburger Ausstellung. Sie zeichnet auf inspirierende Weise das Lebenswerk einer bedeutenden Frau des 20. Jahrhunderts nach, die ihrerseits in ihren Bildern vielmals die Tätigkeiten von Frauen – vor allem während der Kriegsjahre – in den Blick rückte. Es sind dabei Lee Millers Wege, die unabdingbar mit dem Medium der Fotografie verbunden gewesen sind, und so war es auch die Fotografie, die ihr Sein und Sehen über mehrere Jahrzehnte hinweg spiegelte.

Dass am Ende der Ausstellung im Bucerius Kunst Forum einige ausgewählte Rezeptkarten Lee Millers zum Mitnehmen ausgelegt sind, scheint im Zuge ihres Lebens nach dem Zweiten Weltkrieg und einem Zurücktreten von diesen Bildern nur folgerichtig zu sein: Es waren ihre kulinarischen surrealistischen Kreationen, über die sie auf eine neue Art ihr Schaffen transformierte und in zwischenmenschlichen Momenten – auch fotografisch – (mit)teilte.


1 Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg, hrsg. v. Kathrin Baumstark, Hirmer, München 2023; mit Beiträgen von Ami Bouhassane, Elisabeth Bronfen, Karin Gimmi, Cathérine Hug und Katharina Menzel-Ahr.

2 Ein bislang weniger ausgeleuchteter, doch von Carolyn Burke benannter Aspekt in Lee Millers Biografie: "These images are, at the very least, disturbing", in: dies., "Framing a life: Lee Miller", in: The Surrealist and the Photographer: Roland Penrose and Lee Miller, Ausst.-Kat. Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh 2001, S. 127–134, hier S. 128.

3 Inszenierung von John Houseman, komponiert von Virgil Thomson und mit einem Libretto von Gertrude Stein.

4 Lerskis fotografisches Werk begann sich bereits in den 1910er-Jahren in den USA zu entwickeln, vgl. Helmar Lerski, Pionnier de la Lumière, Ausst.-Kat. Musée d’art et d’histoire du Judaïsme, Éditions Gallimard, Paris 2018.

5 Lee Miller, Fotografin zwischen Krieg und Glamour, S. 193.

6 Lee Miller: "Deutschland. Der Krieg ist gewonnen", in: Lee Miller, Krieg, Reportagen und Fotos, Mit den Alliierten in Europa 1944–1945, hrsg. v. Antony Penrose, btb, München 2015, S. 201–231, hier S. 201 [erstmals veröffentlicht 1991 in der englischen Originalausgabe].

7 Vgl. Christina Irrgang: Hitlers Fotograf, Heinrich Hoffmann und die nationalsozialistische Bildpolitik, transcript, Bielefeld 2020, S. 177ff.