Ange Dakouo, Imagine (2023), courtesy the artist. Installationsansicht der Ausstellung O Quilombismo: Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien, Haus der Kulturen der Welt (HKW), 2023. Foto: Laura Fiorio/HKW.

Unter den Fahnen bunter Alterität

Das Haus der Kulturen der Welt unter der neuen Leitung von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

Mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung hat im Haus der Kulturen der Welt (HKW) eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Entwicklung scheint sich in Dritteljahrhundert-Schritten zu vollziehen: 1957 als Kongresshalle eröffnet, war die "schwangere Auster", wie die Berliner sagen, ein Monument des Kalten Kriegs: Gestiftet von den Amerikanern auf Betreiben der für Berlin zuständigen Eleanor Dulles, Schwester des Außenministers John Foster Dulles und des CIA-Direktors Allen Dulles, in Sichtweite des Brandenburger Tors und des Sowjetischen Ehrenmals, tagte hier unmittelbar nach der Eröffnung der Congress for Cultural Freedom: der kulturelle Arm der CIA, wenn dies auch damals noch nicht öffentlich war. Die Rolle als Leuchtturm der Freiheit schien allerdings schon 1980 mit dem Einsturz des Dachrands brüchig zu werden, von dem die Band Einstürzende Neubauten ihren Namen ableitete.

32 Jahre nach der Eröffnung, noch vor dem Fall der Berliner Mauer vollzog das Haus dann die Wende von einer bipolaren zu einer multipolaren Weltordnung. Wie die "Kulturen der Welt" definiert und präsentiert werden sollten, stand damals noch keineswegs fest. Auf literarischem Gebiet half die Berufung auf Goethe: Gesteht’s! die Dichter des Orients sind größer hieß eine Veranstaltungsreihe zur Eröffnung, nach einem Zitat aus dem West-östlichen Divan. Für die bildende Kunst war es schwieriger. Als zeitgenössische Kunst galt damals nur "Westkunst" aus den USA und Europa. Wenn von Kunst anderer Erdteile die Rede war, waren in der Regel um vorkoloniale Objekte aus Völkerkundemuseen gemeint, die in einem scheinbar zeitlosen, ethnographischen Präsens verharrten.

Erst zwei Monate nach dem HKW eröffnete im Centre Pompidou in Paris Magiciens de la terre, die erste große Ausstellung, die aktueller Kunst aus den USA und Europa solche aus Afrika, Asien und Lateinamerika sowie indigener Australier, Kanadier und Ozeanier gegenüberstellte: Ein Durchbruch für die neue Kunst dieser Regionen, der aber auch kontrovers diskutiert wurde. "Nicht-westliche" Künstler:innen würden in Titel und Präsentation nach kolonialer Manier auf der Seite der Natur und des Gefühls verortet, lautete die Kritik, im Gegensatz zur Rationalität "westlicher" Abstraktion und Konzeptkunst.

Bunte Farben, natürliche Materialien und eine "spirituelle" Ebene: Auf den ersten Blick scheint sich bei O Quilombismo, der ersten Ausstellung des HKW unter Ndikung, daran wenig geändert zu haben. Die Säulen im Foyer sind mit Textilien aus Henna-gefärbter Wolle verhüllt. Kleine Drachen aus Maulbeerbaumrinde schweben im Raum. Farbenfrohe Werke hängen an bunten Wänden. Viele der Arbeiten haben eine rituelle Dimension. Farben und Materialien sprechen die Besucher:innen unmittelbar auf der ästhetischen Ebene an. Aus dem exotisierenden Blickwinkel, der Magiciens de la terre vorgeworfen wurde, scheint eine Selbst-Exotisierung geworden zu sein.

Die Moderne hat überall stattgefunden

In den ersten 34 Jahren des HKW ging die Entwicklung in eine ganz andere Richtung. Ndikungs Vorgänger kamen ausnahmslos aus der Welt der Goethe-Institute. Sie hatten anfangs noch eine weniger dominierende Rolle. Es war Alfons Hug, 1994 bis 1998 Bereichsleiter für die visuellen Künste, der den Begriff der "anderen Modernen" prägte. Schon die viel beachtete Ausstellung China Avantgarde hatte 1993 die Richtung vorgegeben. Kunst aus der "Dritten Welt", die zuvor als das Andere im Gegensatz zur westlichen Moderne betrachtet wurde, war ebenfalls modern: Ganz in diesem Sinne argumentierte auch Okwui Enwezor, dessen wegweisende Ausstellung The Short Century das HKW mit produziert hat.

Parallel dazu setzte mit der Etablierung der Biennalen in aller Welt eine Globalisierung der Gegenwartskunst ein, die schließlich eine gesonderte Präsentation der "nicht-westlichen" Kunst in einem eigenen Haus zu erübrigen schien. Bernd Scherer, Ndikungs Vorgänger, verlegte sich mehr und mehr auf grundlegende Themen wie das Anthropozän oder auch konkrete Berliner Probleme wie die Wohnungsfrage.

Allerdings trat in den letzten Jahren immer deutlicher hervor, dass sich Menschen aus den ehemals kolonisierten und kolonisierenden Ländern keineswegs auf Augenhöhe gegenüberstanden. Die Rassismus-Erfahrungen einer zunehmenden Zahl junger Afrodeutscher, die Black-Lives-Matter-Bewegung, die beginnende Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig. Berlin spielt bei alldem eine zentrale Rolle, nicht zuletzt aufgrund der Debatten um das Humboldt Forum.

Vom Herzschrittmacher zur Gegenwartskunst

Bonaventure Soh Bejeng Ndikung hat einen ganz anderen Background als seine Vorgänger. Er hat Medizintechnik studiert und Herzschrittmacher entwickelt und wusste wenig von zeitgenössischer Kunst, bis er in Düsseldorf mit Künstler/innen in Kontakt kam und vor rund 15 Jahren anfing, Ausstellungen zu kuratieren. Das Grundprinzip seines Projektraums Savvy Contemporary bestand darin, in der Regel zwei Künstler/innen aus dem globalen Süden zwei solchen aus Europa oder Nordamerika gegenüberzustellen, um einer Etikettierung als "afrikanische Kunst" und vergleichbaren Zuschreibungen entkommen. Durch seinen Vater, der Anthropologe war, kannte er von Kindesbeinen an die literarischen und theoretischen Werke der postkolonialen Zeit: Frantz Fanon, Ngugi wa Thiong’o, die Autoren der Négritude und viele andere.

In der Eröffnungsausstellung im HKW ist Ndikungs Handschrift klar zu erkennen: Ein Bandwurmtitel – O Quilombismo. Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien –, der sich auf ein politisches Konzept aus dem Brasilien der Nachkriegszeit bezieht; eine Ausstellung, die, überspitzt gesagt, eher den Rahmen für die Eröffnungsveranstaltung abgibt, eine Kulisse für Musik, Diskussionen und Vorträge, ein Ambiente, in dem sich Besucher/innen wohl fühlen. Es gibt keine Wandtexte. Wer über die Künstler/innen und Werke etwas wissen will, bekommt ein knapp 300 Seiten dickes Handbuch mit auf den Weg: farbige Buchstaben auf getöntem Papier, je nach Lichtverhältnissen schwer zu entziffern und mit Allgemeinplätzen gespickt, wie sie Künstlerviten häufig enthalten. Zwei beliebige Beispiele: "… greift in ihren Arbeiten auf die Mythologie zurück, um Herrschaftsmechanismen, stereotype Normen und Repräsentationsformen zu hinterfragen." "Die Praxis der … Künstlerin … bewegt sich zwischen Zeichnung, Malerei, Skulptur und Installation. Ihre Werke, die oft auf globale, aktuelle Ereignisse Bezug nehmen, treten in Dialog mit anthropologischen Narrativen und botanischen Sphären, die eng mit dem kolonialen Erbe verwoben sind."

Schwarze Identitäten, koloniale Mythen

Zur Ausstellung ist ein Reader mit historischen und aktuellen Texten und Interviews zum Thema erschienen. Der grundlegende Text über „das Quilombo-Konzept“ von Beatriz Nascimento, ursprünglich 1985 erschienen, führt den Begriff zurück auf die Imbangala, die im Angola des 16. Jahrhunderts den Portugiesen widerstanden. Gängig ist die Bezeichnung Quilombo für die Siedlungen entlaufener Sklaven, in denen wiederum schwarze Brasilianer der Nachkriegszeit Keimzellen einer neuen, nicht-rassistischen Gesellschaft erblickten. Es gab eine Zeitung mit dem Titel Quilombo. Der Quilombismo wurde, wie Nascimento schreibt, zum Türöffner für eine neue brasilianische Identität, die Schwarze einschloss und ihnen die Identifikation mit dem Land ermöglichte.

"Die Angola beherrschenden Imbangala", schreibt Nascimento in ihrer Herleitung des Begriffs, "galten als furchteinflößendes Volk, das ausschließlich von Plünderei lebte … Im Gegensatz zu anderen Volksgruppen zogen sie keine Kinder auf … Sie töteten sie nach der Geburt und adoptierten die Jugendlichen besiegter Stämme. Sie waren Anthropophagen …" Dies klingt nun allerdings so eindeutig nach einer kolonialen Quelle, die ihren Gegner zum Untermenschen herabstuft, um jedwede Art von Gewalt zu rechtfertigen, dass man sich nur wundern kann, eine solche Beschreibung unkommentiert im Reader zur Ausstellung zu finden. Dass am Ende kleingedruckt "problematische sprachliche Formen und Gewohnheiten" entschuldigt werden, hilft nicht, denn es handelt sich nicht um Formulierungen, sondern um die Interpretation historischer Zusammenhänge.

Man könnte dies als mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber dem vierzig Jahre alten Text abtun, wäre es nicht auch symptomatisch für die Ausrichtung der Ausstellung, die nicht das historische Phänomen des Quilombismo im Brasilien der Nachkriegszeit beleuchten will, sondern das Konzept "im Zeitstrom andauernder Gegenwart", wie Ndikung in einem Beitrag schreibt, für das Hier und Jetzt nutzbar machen. Ob das global so funktioniert, muss offen bleiben. Jedenfalls wählt die Ausstellung keine historisch-kritische Perspektive, sondern lädt zur Identifikation ein. Dies stößt vor allem bei einem jungen, migrantischen Publikum auf große Resonanz: aus kulturpolitischer Sicht eine Win-Win-Situation. Farben, Töne und Materialien scheinen gewählt, um eine Sphäre des Anderen zu markieren. Ein Safe Space für die Nachfahren von Kolonisierten? Das HKW, ein Quilombo?

Auf dem Dach wehen trotzig drei Fahnen von Olu Oguibe im Wind, auf denen das Schwarz-Rot-Gold um einen Grünstreifen und die Buchstaben "D D R" ergänzt ist, die hier für "Dekarbonisieren, Dekolonisieren, Reparieren" stehen sollen. Wenn das Haus sich in diesem Sinne globalen Problemen stellen will, wird es auf längere Sicht mehr als eine Enklave sein müssen. Allerdings ist die Ausstellung nicht alles. Es gibt ein reichhaltiges Programm mit Literatur und Musik bis hin zu Oumou Sangaré, Veranstaltungen zur Erinnerung an die haitianische Revolution 1803, an den Putsch in Chile 1973 und im Winter ein Osteuropa-Festival. "Osteuropa ist immer das, was 'Wir' nicht sind" heißt es in der Ankündigung, an Aktualität kaum zu überbieten: "Ein Ort der Gewalt und der politischen Krisen."