Monica Bonvicini, from the series: Doors, 2022, Ausstellungsansicht Neue Nationalgalerie, 25.11.2022-30.4.2023. Courtesy the artist, Tanya Bonakdar Gallery, Galleria Raffaella Cortese, Galerie Peter Kilchmann, Galerie Krinzinger. Copyright the artist, VG-Bild Kunst, Bonn, 2022. Foto: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Jens Ziehe.

Die kleine Rebellion

Monica Bonvicini in der Neuen Nationalgalerie in Berlin

Gleich lumineszierenden Fischen in der Tiefsee treiben akkumulierte LED-Neonröhren freischwebend in der durchfensterten Eingangshalle der Neuen Nationalgalerie, durch deren gläserne Front die blau dämmernde Winterdunkelheit dringt. Reflexionen vervielfachen die driftenden Lichtgebilde, machen sie zum Schwarm aus heller geometrischer Form. Sie illuminieren die vor einem Jahr eröffnete Architekturikone, ködern die Besuchenden wie leuchtende Lockmittel das schwärmende Nachtgetier. Doch wer sich von außen nähert, stößt zunächst auf eine spiegelnde Barriere, welche in großen Buchstaben den Ausstellungstitel “I do You” rezitiert. An die Architektur wie an einen übergroßen Briefbeschwerer angelehnt, überragt sie den 9 Meter hohen Mies-van-der-Rohe-Bau. Was als Retrospektive angelegt war, macht sich den Museumsbau zu eigen und übertrumpft die architektonische Ikone, konterkariert den männlichen Blick. Die eigentliche Retrospektive findet dabei im Außenraum statt, wenn eine Stimme beim Umrunden des Gebäudes rund 2.000 Werktitel der in Berlin lebenden italienischen Künstlerin vorträgt.

Eine zweite Barriere im Innern durchbricht als Podest die Offenheit des Raums, erzeugt die Illusion des Durchblicks und ist auf den zweiten Blick doch wieder nur Fläche für Reflexion. Wer sich nähert, begegnet sich selbst, wird nach dem eigenen Standpunkt befragt. Auf der Rückseite untergräbt “Desire” in verführerisch spiegelnden Lettern die offengelegte Ausstellungsarchitektur. Hier wird den Besuchenden Einblick in die musealen Strukturen gewährt, sind diese eingeladen, sich für mindestens 30 Minuten vom Museumspersonal mit Handschellen festketten zu lassen. Der geistige Leerlauf durch Benutzung des Smartphones ist dabei streng untersagt. Wem die Zeit fehlt, der schreitet an Zitaten männlicher Architekten wie “I must have a wall behind me” oder “Architektur ist kein Cocktail” vorbei, am Herrschaftsanspruch der Baukunst des 20. Jahrhunderts, und eine ächzende Metalltreppe empor. Von oben lässt sich ein seltener Ausblick über die Dachkonstruktion der Neuen Nationalgalerie erhaschen, fühlt es sich im Gegensatz zur kalten Architektur wie das unverhoffte Betreten eines privaten Raums vergleichbar einem Wohnzimmer an. Über ein Raster aus abgelegten Hosen, überführt in die Zweidimensionalität des Teppichbodens, werden festgeschriebene Geschlechterrollen ad acta gelegt. Auf der Empore lässt es sich – am besten zu zweit – auf Liebesschaukeln aus ineinander verschränkten Kettengliedern entspannen, auf Sitzmöbeln in Bondage-Optik Platz nehmen, die allerdings nicht so gemütlich sind, wie sie zunächst scheinen. Angelockt durch die Wohnzimmerlampe, eine futuristisch anmutende Lichtskulptur, werden die Besuchenden gleich Motten versammelt, in metallischen Netzen gefangen.

Wer die Architektur von außen umrundet, dem wird der starke voyeuristische Aspekt des Mies-van-der-Rohe-Tempels bewusst. Durch die Fensterfronten lassen sich die Besuchenden selbst wie in eine Vitrine eingeschlossene Ausstellungsstücke besehen. Insbesondere die festgeketteten Versuchsteilnehmenden werden quasi öffentlich zur Schau gestellt. Ein Wechselspiel also zwischen Sehen und Besehen-werden, welches ganz offen die Machtfrage stellt. Wer herrscht hier über wen? Mittels der spiegelnden Oberflächen treten jedoch auch die Besuchenden im Innenraum sich selbst entgegen, können ihre Umgebung ganz anders wahrnehmen, ihre Stellung im Raum besehen. Die Grenzen zwischen innen und außen, Vorder- und Rückseite verschwimmen, wenn eins ins andere fließt, man schnell die Orientierung verliert und der Spiegel die eigene Unsicherheit vor Augen führt.

All das ist anziehend, sexy, doppelbödig. Doch ist es heute noch Provokation? Wer stößt sich noch an der Bondage-Ästhetik, dem Spiel mit der Architektur? Haben Bondage-Materialien doch längst Einzug ins Design gehalten, ist der auf den ersten Blick blasphemisch wirkende Eingriff in den Mies-van-der-Rohe-Bau bei genauerer Betrachtung eher sanft. Wirklich provoziert hat dagegen der zeitlich mit der Ausstellung zusammenfallende Skandal um den Galeristen Johann König, Bonvicinis zunächst kommentarlose temporäre Auszeit und schließlich der endgültige Bruch durch die Galerie, um die Künstlerin angeblich vor Anfeindungen zu schützen. Im Nachhinein ist Bonvicini die einzige Künstlerin, die ihr Ausscheiden aus dem Galerieprogramm in den Kontext der Vorwürfe von übergriffigem Verhalten und sexueller Belästigung rund um König gerückt hat. Die Anschuldigungen werden vom Galeristen bestritten. Nach ihrem ersten Rückzug warfen der Künstlerin feministische Kollektive jedoch in einem offenen Brief Scheinheiligkeit vor, forderten von einer der bekanntesten feministisch agierenden Künstlerinnen, Stellung zu beziehen. Bonvicinis Kunst allerdings hatte nie einen aktivistisch motivierten Impetus, sondern widmete sich anknüpfend an die Institutionskritik der 60er- und 70er-Jahre der Offenlegung von Machtverhältnissen, der grundsätzlichen Kritik an Strukturen.

Wie viel Institutionskritik steckt aber in einer Ausstellung, die von Bonvicinis langjährigem Begleiter Klaus Biesenbach kuratiert und von den Freunden der Nationalgalerie ermöglicht wird? Ein Glück beinahe, dass sich ein paar Mies-van-der-Rohe-Fans im Vorfeld empört haben, obwohl die Schau die symmetrische Schönheit des Baus durch ungewohnte Perspektiven und körperliche Erfahrbarkeit eher hervorhebt als untergräbt. Von der Baustelle geborgene “2 Tonnen Alte Nationalgalerie” bleiben als skulpturale Intervention mit einem “in Schutt und Asche Legen” also mehr oder weniger allein.

Die vielleicht provokanteste Arbeit stellt im Grunde “Hausfrau Swinging” dar. Das 1997 entstandene Video zeigt im wörtlichen Sinne eine Hausfrau – eine Frau mit einem Haus auf dem Kopf. Nackt steht sie in einer durch weiße Stellwände geschaffenen Raumecke, ein ebenso weißes Architekturmodell aus Pappe versperrt ihr die Sicht. Unter großem Lärm schlägt sie nun ihren geschützten Kopf gegen die umstehenden Stellwände. In die Ecke gedrängt, bewegt sie sich in einem winzigen Radius, ist gesichtslos gefangen in dem Architekturmodell. Wütend wendet sich die nackte Frau so gegen die Wände der ausstellenden Institution, deren Stellwänden auch die Besuchenden gegenüberstehen. Nicht länger bleibt sie versteckt, nutzt die Architektur für ihre Rebellion. Ein Sturm, der sich gegen die in häuslicher Privatheit lange etablierten hierarchischen Geschlechterverhältnisse genauso wie gegen patriarchale Codes im Kunstsystem richtet. Eine starke Arbeit also, angesichts deren Anspruchs die aktuelle Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie eher als kleine Rebellion daherkommt. Zumal für eine Künstlerin, der gewöhnlich nichts zu gewagt erscheint.