Lukas Truniger, Undergrown, 2023, Installationsansicht «Exploring the Decetralized Web – Kunst auf der Blockchain», 2023, HEK, Foto: Franz Wamhof

Auf der Blockchain

Eine Ausstellung im Haus der Elektronischen Künste in Basel. 2. September bis 12. November 2023.

“And all this is done automatically without human intervention”, behauptet Primavera De Filippi im Erklärvideo zu ihren Plantoiden: Digitale, pflanzenrtige Objekte, die sich vermehren und dabei mutieren. Ein Plantoid, Nummer 15, ist im Ausstellungsraum des Haus der Elektronischen Künste (HEK) in Basel zu sehen, und zwar als physische Skulptur, die gewiss nicht ohne menschliche Intervention zustande gekommen ist: Eine Art Blume mit Fledermausflügeln, größtenteils aus Metall, das Rückgrat – oder der Stengel – eine Motorradkette (Kette = chain, wie blockchain?), mit Mikrophon, damit sie oder er sich über Chat GPT mit Ausstellungsbesucher/innen unterhalten kann. Was im Moment des Besuchs leider nicht funktioniert.

Ohne menschliche Eingriffe geht allenfalls die Vermehrung der Plantoide im Netz vor sich. Der aber weitere menschliche Interventionen vorangehen: Das Konzept, die Programmierung und die ersten Plantoide hat De Filippi entwickelt. Der Plantoid braucht, wie eine Pflanze die Biene, andere, in diesem Fall menschliche Lebewesen für die Bestäubung. Sie kommt zustande, wenn diese Menschen, angezogen von der Schönheit des Plantoids oder getrieben von Besitzgier, per Kryptowährung “Samen” erwerben. Sobald der Plantoid genug Geld eingesammelt hat, lädt er über einen Aufruf zu Vorschlägen für die Gestaltung der nächsten Generation ein. Über diese Vorschläge können dann die Besitzer der Samen abstimmen.

Ist Primavera ein Künstlerinnenname? Primavera heißt Frühling, und der Frühling bringt Blumen hervor. Oder hat sich die Künstlerin, die sich auch mit den juristischen Aspekten der Blockchain-Technologie beschäftigt, von ihrem Namen zu dem Projekt inspirieren lassen? Unzulässige Fragen, die jedoch auf ein Kernproblem netzbasierter Kunst verweisen: Von einer Metaphorologie der Medien spricht Georg Christoph Tholen: Die digitalen Codes erhalten ihren Sinn erst dann, wenn Bedeutungen und Bilder aus der realen, physischen Welt auf sie übertragen werden. Der Plantoid ist, wie De Filippi schreibt, eine künstlerische Verkörperung der Blockchain-Technologie, die sie verwendet, um die Herausforderungen und Chancen eben dieser Technologie zu illustrieren.

Digitale Originale

Ähnliches gilt auch für die anderen ausgestellten Arbeiten. Wobei noch zwei Begriffe erklärt werden müssen, abgekürzt DAO und NFT. NFT heißt ausgeschrieben Non-Fungible Token. Ein Token kann eine Spielfigur, ein Jeton, eine Wertmarke, ein Gutschein sein. Fungible bedeutet ersetzbar, austauschbar. Geld ist non-fungible, wenn es fälschungssicher ist. Darauf beruhen Kryptowährungen wie Bitcoin. Im Bereich der Kunst spricht man von einem Original. Mit der Blockchain-Technologie lassen sich digitale Kunstwerke herstellen, die als Einzelstücke gelten können wie ein signiertes Werk. Natürlich funktioniert die Wertzuweisung nur, wenn eine Gruppe von Menschen sich darüber einig ist. In der Kunst braucht es dazu so etwas wie eine Fangemeinde, die sich aber nur herausbilden kann, wenn die Arbeiten ausgestellt oder im Netz gezeigt werden. Andernfalls, wenn ein Sammler das digitale Werk einfach nur auf seinem Computer abspeichert, wird es noch viel schneller wieder an Wert verlieren als physische Kunst, die in einem Depot vor sich hin schlummert.

Künstler/innen, die digital, auf der Blockchain arbeiten, können also ihre Werke verkaufen und dabei sogar die Galerie-Tantiemen einsparen, wie Ugo Pecoraio, der Pressesprecher des HEK hervorhebt. Allerdings müssen sie dann über Wege nachdenken, ihr Publikum zu erreichen. Eine Möglichkeit bietet die dezentrale autonome Organisation (DAO): eine Art Genossenschaft im Netz. Ihre Mitglieder entscheiden gemeinsam, und zwar ohne einen Vorstand. Das ist mit dezentral gemeint, auch im Titel der Ausstellung Exploring the Decentraized Web: die alte Utopie des World Wide Web als hierarchiefreiem Raum, an dem Jede/r mitbasteln kann, ohne dass Tech-Konzerne die Richtung vorgeben. Man wird Mitglied der DAO, indem man Anteile (NFT) erwirbt, im Fall De Filippis die Samen. Ihr Projekt zeigt sozusagen den smarteren Weg auf, digitale Kunst zum Verkauf anzubieten, der ein Community Building mit einschließt. Freilich existieren die Künstler/innen, die mit der nächsten Generation ihrer Plantoiden beauftragt werden sollen, im Moment noch nicht. Auf ihrer Projekt-Website sind sie durch Bilder von Salvador Dalí und Andy Warhol vertreten.

Die Arbeiten der Ausstellung sind nicht einfach digitale Kunstwerke, die auf der Blockchain liegen, um zum Verkauf angeboten zu werden. Sie reflektieren eher verschiedene Aspekte von Kunst auf der Blockchain. Mario Klingemann hat mit Botto einen autonomen, digitalen Künstler erschaffen, dessen Hervorbringungen von einer DAO einer Bewertung unterzogen werden. Botto ist sozusagen noch ein Kunststudent im höheren Semester. Seine Werke sind digitale “Gemälde” am Bildschirm, die früheren zum Teil etwas kitschig, neuere auch mit klar erkennbaren Pinselstrichen. Wenn man es ernsthaft und hart formulieren will, liefert Botto den Beweis, dass Algorithmen keine Kunst hervorbringen können. Das würde allerdings heißen, zu übersehen, dass die eigentliche künstlerische Arbeit das Projekt ist, das die autonome digitale Erzeugung von Kunst ironisch hinterfragt.

Automatisierte Tagebucheinträge

Ähnlich verfährt Amanda E. Metzger, die das Sprachmodell GPT-3 verwendet, um automatische Tagebucheinträge zu erstellen. “Saturday night and I’m at home”, beginnt ein Eintrag, ein anderer: “So we’re gonna be having a kid”. Die Software lernt, das Tagebuch der Künstlerin in ihrem Stil endlos fortzuschreiben, auch noch dann, wenn sie bereits zu alt ist, um Kinder zu bekommen oder schon nicht mehr lebt. Auch hier besteht ein unverzichtbarer Teil der Arbeit darin, die Kunst von der Blockchain in den physischen Raum zu holen: Ein weißer Teppich mit Kopfkissen liegt im Ausstellungsraum. Man kann die Schuhe ausziehen, sich hinlegen und das an die Decke projizierte Tagebuch lesen.

Rhea Myers ironisiert die Zertifikate elektronischer “Original”-Kunstwerke, indem sie eine Pfeife wie bei René Magritte, ein Urinal wie bei Marcel Duchamp und einen Balloon Dog wie von Jeff Koons mit dem 3D-Drucker herstellt und ihnen Zertifikate ausstellt, die ihre Nicht-Authentizität besscheinigen. Lukas Truninger verwendet veraltete Krypto-Mining-Hardware, um Rechenleistung für Forschungsprojekte bereitzustellen. Seine Installation hat die Form einer Hecke, auf Hedgefonds anspielend, und jault ab und zu auf, wenn sich die Ventilatoren in Betrieb setzen. So wird der Energieverbrauch der Blockchain spürbar, den auch Kyle McDonald kritisiert. Sie bietet drei Glaswürfel zum Verkauf an, die mit verschiedenen Substanzen gefüllt sind, um mit dem Erlös die CO2-Emissionen der drei größten NFT-Marktplätze zu kompensieren. Ihre Würfel sind dementsprechend sehr teuer.

Mit einem Altar aus vier Raspberry Pi’s, die Kryptogeld schürfen, während an der Stirnwand des Raums zahllose Echtzeit-Kommentare auf der Plattform X, ehemals Twitter, im Miniaturformat durchlaufen, spielt Chloé Michel darauf an, dass eine Kryptowährung wie jedes Geld nur funktionieren kann, wenn ihre Nutzer an ihren Wert glauben. Sarah Friend nennt ihre NFTs Lifeforms. Sie bleiben nur dann am Leben, wenn sie periodisch weiter verkauft werden. Denjenigen, bei denen das nicht der Fall ist – und das ist der größere Teil – verhilft sie in der Ausstellung zu einer würdevollen Beerdigung. Simon Denny ruft dagegen mit anderen in einer Dotcom Séance 21 Unternehmen, die 2000 in der Dotcom-Blase untergegangen sind, ins digitale Leben zurück. Kerzen verleihen beiden Installationen eine sakrale Atmosphäre.

KryptoBrunch und Onboarding-Workshops

Das Publikum des HEK besteht aus der Schnittmenge zweier begrenzter Gemeinschaften: Man muss, wenn nicht programmieren können, so doch wenigstens an neuen Entwicklungen der Netztechnologie ebenso interessiert sein wie an Kunst. Das Museum ist 2011 aus dem Shift-Festival der elektronischen Kunst hervorgegangen und profitiert von der Nachbarschaft der Hochschule für Gestaltung und Kunst, deren Studierende interessierte und kritische Ausstellungsbesucher/innen sind. Darüber hinaus setzt das Haus auf Vermittlung auch mittels neuer Formate wie dem KryptoBrunch oder dem BitFabrik-Programmierclub für Jugendliche. Erreicht werden alle Altersgruppen, auch Rentner/inen, sagt Isabella Maud, die mit Patricia Huijnen das Vermittlungsprogramm leitet.

Neu ist auch die DAO Friends of HEK. Für 0,4 ETH – das heißt in diesem Fall nicht Eidgenössische Technische Hochschule, sondern Ethereum, eine Kryptowährung – oder 60 Schweizer Franken kann man eine Jahresmitgliedschaft erwerben und erhält neben freiem Eintritt die Möglichkeit, verschiedene Angebote wie Online-Onboarding-Workshops zu nutzen und sich darüber hinaus an Entscheidungen zu beteiligen. “Die Deutsche Übersetzung folgt in Kürze.”