IbrahimMahama, TRANSFER(S), Installationsansicht, Verhüllung ehemaliges Galeria Kaufhof-Gebäude in Osnabrück, 2023. Foto: Linda Sandrock.

Verstrickte Geschichte(n)

Ibrahim Mahamas Installation Transfer(s) im Osnabrücker Stadtraum, 8. Juli bis 1. Oktober 2023

Wie ein inmitten des geschäftigen Stadttreibens ankerndes Frachtschiff erscheint das durch den Künstler Ibrahim Mahama derzeit mit einem Flickenteppich aus Jutesäcken, Webstoffen und Gewändern verhängte Gebäude der 2020 geschlossenen Osnabrücker Galeria-Kaufhof-Filiale. Surreal, aus Raum und Zeit gefallen, mutet die Installation an und nur aus der Entfernung, über die Dächer der Autos, Busse und Transporter, die eine der Hauptverkehrsadern der Stadt befahren, lässt sie sich betrachten. Das Gebäude wie der Gehweg rund um das Gebäude sind gesperrt. Will man die Installation von allen Seiten bestaunen, müssen Kreuzungen überquert und mitunter Verbotsschilder missachtet werden. Das visuelle Begreifen wird vom hektischen Verkehrslärm begleitet und durchschnitten. Es ist eine Installation, die sich vor allem als Fluchtpunkt im Vorbeiziehen erschließt: aus dem Fenster eines Busses, beim Halt an der Ampel.

Ibrahim Mahama, TRANSFER(S), Installationsansicht, Verhüllung ehemaliges Galeria Kaufhof-Gebäude in Osnabrück, 2023. Courtesy Ibrahim Mahama und Kunsthalle Osnabrück. Foto: Lucie Marsmann.

Intervention

Anlässlich zweier Jubiläen – 375 Jahre Westfälischer Friede und 30 Jahre Kunsthalle Osnabrück – konnte dieses Mammutprojekt des ghanaischen Künstlers unter Federführung der Kunsthalle und kuratiert von Bettina Klein und Kwasi Ohene-Ayeh realisiert werden. Mehrfach bereits beeindruckte Mahama mit der Einhüllung von Gebäuden unter einem Patchwork aus dem für seine Arbeiten ikonischen Material des Jutesacks. So verkleidete er prominent zur Venedig Biennale 2015 die Außenwände der Hallen des Arsenale, der früheren und historisch bedeutenden Schiffswerft Venedigs, oder zur documenta 14 die Gebäude der Kasseler Torwache.

Vor allem aber in den Metropolen seines Heimatlandes Ghana, in der Millionenstadt Kumasi, wo Mahama die Kwame Nkrumah University of Science and Technology besuchte, und in der Hauptstadt Accra hat der Künstler ähnliche Projekte initiiert. Seinen Anfang nahm alles mit dem Verhängen einer Zugbrücke bei Kumasi, errichtet zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext des kolonialen Warenhandels von den Briten. Dort verband sich für Mahama die Idee der Wiederbelebung verbrauchter, zerschlissener und abgelebter Materialien, die er als Student bereits auf Märkten einsammelte und zu Stoffen seiner Kunst upcyclete, mit dem Konzept der ortsspezifischen Intervention.

Einschreibung

Die Orte und Architekturen, denen sich Mahama zuwendet, sind geschichtlich und politisch aufgeladen, oft verlassen oder ihrer ursprünglichen Funktion enthoben. Seine Materialien – neben Jutesäcken sind das zum Beispiel Schuhboxen oder Leder und Metall ausrangierter Züge –, sind ebenso von den Spuren der Menschen, die sie benutzten, und der Waren, die sie transportierten, gekennzeichnet. Die Jutesäcke, die Mahama von den Händlern der ghanaischen Märkte im Tausch gegen neue erhält, haben bereits einen Zyklus des vielfachen Wiederverwendens durchlaufen. In Bangladesch oder Indien hergestellt, werden sie in Ghana mit Kakao, einem Hauptexportgut des Landes, Kautschuk oder Zuckerrohr befüllt und dann später, bevor sie ganz unbrauchbar werden, noch zum Kohletransport genutzt. Auf den vielen Wegen, die die Säcke nehmen, werden sie mit Stempeln versehen und mit Namen ihrer zwischenzeitigen Besitzer beschriftet, um zuletzt die Spuren der zahlreichen Mitwirkenden an Mahamas Projekten, zuvorderst der Näherinnen und Näher, die die Säcke in gemeinschaftlichen Sitzungen zu Bahnen zusammenfügen, aufzunehmen. “Happy”, “John”, “Habiba”, “Jenni” liest man in Großbuchstaben an der verhängten Fassade des Galeria-Kaufhof-Gebäudes in Osnabrück.

Der Gedanke des Einschreibens und damit bedeutenden Aufladens ist zentral für Mahamas künstlerische Praxis. Für ihn verbinden sich im Einschreiben die Ebenen des Materials, der mit dem Material arbeitenden Menschen wie der bespielten Orte, die allesamt als Akteure am Kunstwerk beteiligt sind, zu einer komplexen Geschichte. Die Jutesäcke verweisen auf Mechanismen des globalen Wirtschaftens, die in Kolonialismus und Kapitalismus wurzeln. Mit ihnen lassen sich die verschlungenen Handelswege und Abhängigkeiten nachzeichnen, die unsere postkoloniale Welt weiterhin prägen.

Ibrahim Mahama, TRANSFER(S), Installationsansicht. Foto: Lucie Marsmann.

Ortsspezifik

Der für Mahamas Installation in Osnabrück gewählte Ort ist ebenfalls bezeichnend und verleiht dem Projekt unter verwandten Interventionen eine ganz eigene Nuance. So beschreibt die Firmengeschichte des einst so erfolgreichen Konzerns Galeria Kaufhof eindrücklich den Aufstieg und Fall der großen deutschen Warenhäuser, die sich Ende des 19. Jahrhunderts etablierten und als Symbole kapitalistischer Weltordnung und konsumistischer Verfügbarmachung und Ausbeutung gelten können. Nach Insolvenzverfahren in den letzten Jahren stehen viele der Kaufhäuser leer und werfen die Frage auf, wie mit den Ruinen umgehen. In Osnabrück wird die ehemalige Galeria Kaufhof vom Hamburger Projektentwickler Home United in den Cross Community Space “Osnabrücker Ding” umgebaut. Mahamas Stoffe umhüllen den früheren Konsumtempel nun in einem letzten Akt wie ein Leichentuch, bevor das Gebäude transformiert und neuen Zwecken zugeführt wird. “Mein Interesse gilt sowohl dem Verfall als auch dem Potential. Der Tod ist ein starker Ausgangspunkt und bietet unendliche Möglichkeiten”, sagte Mahama in einem Gespräch mit Kwasi Ohene-Ayeh und Bernard Akoi-Jackson im Rahmen seines Projekts Exchange-Exchanger (1957-2057). Seine Verhüllungen verbergen nicht, sondern verweisen, machen aufmerksam: auf verstrickte Geschichte und potenzielle Zukünfte.

Eine Besonderheit der Installation in Osnabrück ist die Erweiterung des Materials über die Jutesäcke hinaus um die dunklen Streifengewebe-Stoffe und die auf den Stoffbahnen wie Blumen drapierten Gewänder. Darin klingt nicht nur der Ursprung vieler deutscher Warenhäuser wie der Galeria Kaufhof im Textilgeschäft an, sondern auch die Bedeutung des Textilgewerbes für die Stadt Osnabrück. Mehrere Jahrhunderte war Osnabrück Zentrum des Leinenhandels. Das qualitätsgeprüfte und strapazierfähige Osnabrücker Leinen, bekannt als „true born Osnabrughs“, gelangte bis nach Nordamerika und zu den Westindischen Inseln, wo es zur Herstellung der Kleidung der Sklaven, die die für die Textilproduktion ebenfalls wichtige Baumwolle pflückten, verwendet wurde. In den Küstengebieten Afrikas wurde es wiederum gegen Sklaven eingetauscht.

Die Bezüge, die sich über Mahamas Installation herstellen lassen, sind vielfältig. Das Material selbst zeigt sie auf, indem es seine Geschichte darlegt. Mahama lässt die Gegenstände und Orte sprechen. Und so machen seine Arbeiten deutlich: Wir leben in einer global verflochtenen Welt, in der wir bis aufs Äußerste voneinander abhängig und für alles mitverantwortlich sind.